Kommentar zur Fußball-EM

Europameister Italien darf Deutschland gerne ein Vorbild sein

12.7.2021, 10:05 Uhr
Vornedran beim Tore schießen und beim jubeln: Leonardo Bonucci inmitten des neuen Europameisters. 

© Nick Potts, dpa Vornedran beim Tore schießen und beim jubeln: Leonardo Bonucci inmitten des neuen Europameisters. 

Was für ein Finale! Also, zumindest aus dramaturgischer Sicht. Ein Finale, in dem sich beide Mannschaften mehrmals auf dem rechten Weg wähnen durften – bis tief hinein ins Elfmeterschießen. Auf das historisch frühe 1:0 folgte eine souveräne Halbzeit der Three Lions, nach der Pause belohnte sich Italien für eine Leistungssteigerung mit dem Ausgleich. Nach der ersten Parade von Jordan Pickford hämmerte Harry Maguire den Ball ins Netz – mit vollem Risiko. Natürlich kann England Elfmeter, nichts anderes sollte dieser Schuss bedeuten. Dann kamen jene Spieler, die Gareth Southgate während des Endspiels und noch kurz vor dem Ende eingewechselt hatte.

Erst 25 Jahre nachdem der Nationaltrainer im Wembley-Stadion einen Elfmeter verschossen und Deutschland (mit Verzögerung) zum Europameister gemacht hatte, hat England Southgate lieben gelernt. So viel hatte der Mann aus Watford richtig gemacht bei dieser Europameisterschaft. Die Einwechslungen zweier so selbstbewusster wie prominenter junger Spieler, die er während des Turniers weitgehend ignoriert hatte, aber werden ihn noch lange verfolgen. Hoffentlich nicht abermals 25 Jahre lang.

Spinazzola, Chiellini, Vialli - so viele Leistungsträger

In die Tragik mischte sich der Stolz des neuen Europameisters. Italien darf gerne zum Beispiel werden für Fußballnationen, deren Erste Mannschaft eine Krise durchlebt. 2018 fehlte die Squadra Azzurra bei der WM in Russland. Roberto Mancini nutzte die Zeit, um eine Mannschaft aufzubauen, die nunmehr seit 34 Spielen ungeschlagen ist, die bei der EM mit flottem Ballbesitzfußball begeisterte und traditionell italienisch spielte, wenn es sein musste. Dass mit Gianluigi Donnarumma der Torhüter zum Spieler des Turniers gewählt wurde, lag an den letzten Eindrücken aus dem Wembley-Stadion.

In Erinnerung aber bleiben die Läufe von Leonardo Spinazzola, der sich im Viertelfinale schwer verletzt hatte, und der auf dem Siegerfoto zwischen seinen Krücken lag. In Erinnerung bleibt die sympathische Frechheit von Kapitän Giorgio Chiellini vor dem Elfmeterschießen nach dem begeisternden Halbfinale gegen Spanien. Und in Erinnerung bleibt Mancini mit seinem sympathischen Team um Co-Trainer Gianluca Vialli, der den Krebs besiegt hatte. England hätte den 55 Jahre nach dem Lattentreffer im Wembley-Stadion den Titel verdient gehabt. Italien aber ist ein würdiger Europameister - vom euphorischen ersten Spiel in Rom bis zum dramatischen Finale in London.

Rashford bleibt ein Held

Marcus Rashord, einer der drei traurigen Schützen an diesem emotional fordernden Abend, hingegen sollte zunächst in Erinnerung bleiben als ein großartiger junger Mann, der ein zerrissenes England ein bisschen besser gemacht hat. Dank Rashord hatten Tausende englischer Kinder während der Ferien in ihren Schulen Essen bekommen.

Es gibt so viele wichtigere Dinge als einen verschossenen Elfmeter.

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