Drei Engländer verschießen

Europameister nach Elfmeterschießen: Italien zerstört Englands Titel-Träume

12.7.2021, 00:08 Uhr
Die italienische Nationalmannschaft schlägt England im Wembley-Stadion nach einem dramatischen Elfmeterschießen.

© Nick Potts, dpa Die italienische Nationalmannschaft schlägt England im Wembley-Stadion nach einem dramatischen Elfmeterschießen.

Nach 4830 Minuten gähnend langweiligem bis maximal spektakulärem Fußball, nach einem bangen und vielen erlösenden Momenten, nach ultrahocherhitzten Debatten und einer Renaissance des Offensivspiels, nach erstaunlich wenigen Fehlentscheidungen und einer entscheidenden Schwalbe, nach einem in vielerlei Hinsicht historischen Turnier also und einem intensiven Finale wurde der Delauney-Pokal an Giorgio Chiellini übergeben.

Italien ist Europameister 2021 – oder 2020, worauf der europäische Fußballverband Uefa offiziell besteht, weil die Andenkentassen bedruckt waren, ehe das Turnier um ein Jahr verschoben werden musste. 55 schmerzvolle Jahre, nachdem ein Lattentreffer im selben Stadion ein Spiel gegen Deutschland entschieden hatte, verlor England wieder ein Finale - 2:3 (1:0, 1:1, 1:1) im Elfmeterschießen. Natürlich.

Wie absurd und gefährlich diese 16. Fußball-EM war, zeigte sich in den Stunden vor dem Endspiel. In London sangen sich die Menschen warm. Dass die Polizei darum bat, das Gebiet um das Wembley-Stadion zu meiden, wäre wichtig gewesen, wenn sich irgendwer darangehalten hätte. 90 Minuten vor dem Anpfiff wurden Sicherheitskontrollen von Dutzenden von Fans überrannt, Absperrungen überklettert. Ob die Randalierer Tickets hatten, war nicht klar. Die Videos, geteilt von Journalisten, waren schockierend – in einem Land, das von mehreren Stadion-Katastrophen erschüttert worden war. Später trugen zumindest die Tänzer bei der Abschlussfeier Masken – als einzige unter 60.000 Menschen. Treffender hätte man die Absurdität kaum zusammenfassen können.

Intensive Partie im Dauerregen

Wie in den Wochen zuvor musste Sport die Sportart retten. Und was war das für ein grandioser Beginn? Ohne Not hatte Harry Maguire den Ball ins Aus gespielt, aus dem italienischen Eckball heraus aber beschleunigte Harry Kane das Spiel. Kieran Trippier verzögerte es wieder kurz vor der Strafraumgrenze, um den Ball perfekt auf den Fuß von Luke Shaw zu flanken. Nicht einmal zwei Minuten waren gespielt – schon hatte es sich gelohnt, dass Gareth Southgate nach dem Halbfinale umgestellt hatte. Statt des quirligen Bukayo Saka stand der vermeintlich defensivstärkere Trippier auf dem Rasen. Seine Offensivstärke drehte den Lautstärkeregler auf, inmitten des Lärms blieb nur einer ruhig: Gareth Southgate.

Der Mann, der in diesem Stadion vor 25 Jahren einen wichtigen Elfmeter verschossen hatte, weiß, dass er sich niemals zu früh freuen darf. Es dauerte aber bis zur 35. Minute bis auch Englands Gegner am Finale teilnahm. Federico Chiesa ließ sich in seinem Lauf aus dem Mittelfeld heraus nicht aufhalten, sein Schuss strich im Dauerregen knapp am Tor vorbei. Ansonsten aber ließ die englische Mannschaft, bis zum Finale nur vom Dänen Mikkel Damsgaard überwunden, nichts zu. Obwohl auch im Strafraum auf der anderen Seite wenig passierte, war es eine intensive Partie, dominiert von Dauerläufern, nicht von Künstlern.

Chancen auf beiden Seiten

Roberto Mancini reagierte früh, erlöste den seit seinem Schauspiel im Viertelfinale ineffektiven Ciro Immobile schon in der 55. Minute. Kurz zuvor hatte sich Raheem Sterling im Strafraum fallenlassen, doch anders als sein Landsmann Danny Makkelie im Halbfinale fiel der Niederländer Björn Kuipers nicht auf den schnellen Stürmer rein. Erneut Chiesa zwang Jordan Pickford zu einer ersten Parade (62.).

Der sich langsam, aber stetig steigernde Druck entlud sich im Ausgleich. Nach einer Ecke probierten es viele Italiener – bis der Innenverteidiger Leonardo Bonucci den Ball endlich an Pickford vorbei über die Linie gedrückt hatte (67.).
Liverpools Kapitän Jordan Henderson sollte die Three Lions aus ihrer Lethargie wecken. Ein bisschen mehr Mut aber reichte nicht, um das Spiel nach 90 Minuten zu entscheiden. Nur Chiellini sorgte für einen Adrenalinstoß, als er den eingewechselten Saka denkbar konsequent aufhielt – und dafür die Gelbe Karte sah (90.+5).

Chancen wurden ausgetauscht, beide Torhüter zitterten einmal, Chiellini stoppte Sterling im letzten Moment – diesmal fair. Niemand wollte das Elfmeterschießen verhindern: Berardi traf. Kane traf. Belotti scheiterte an Pickford. Maguire traf. Bonucci traf. Rashford traf - den Pfosten. Bernadeschi traf. Sancho scheiterte an Donnarumma. Jorginho scheiterte an Pickford. Saka scheiterte an Donnarumma. Und Italien war Europameister.

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