Fußball-EM

Lob und Kritik: Ist Kroos "Querpasstoni" oder Chefstratege?

11.6.2021, 19:14 Uhr
Familienbande: Gattin Jessica und die Kinder Leon und Amelie stärken Toni Kroos den Rücken.

© Uwe Kraft via www.imago-images.de, NN Familienbande: Gattin Jessica und die Kinder Leon und Amelie stärken Toni Kroos den Rücken.

Felix Kroos hatte blitzschnell reagiert – und am Handy eiskalt abgeschlossen. Nur Sekunden, nachdem sein großer Bruder Anfang Mai im Viertelfinal-Hinspiel der Champions League zwischen Real Madrid und dem FC Liverpool (3:1) mit einem künstlerisch wertvollen 50-Meter-Pass auf Vinicius Junior das 1:0 der Spanier vorbereitet hatte, folgte via Twitter die innerfamiliäre Frotzelei: "Querpasstoni", lästerte Kroos der Jüngere.

Böse war das vom Braunschweiger Zweitliga-Profi natürlich nicht gemeint, sondern vielmehr als ironische Replik auf die oft harsche Kritik am erfolgreichen Nationalspielerbruder zu verstehen. Vielen Fans und Experten gilt Kroos als phlegmatisch und leidenschaftslos, ein rationaler Fußballtechnokrat, der das Spiel verschleppt und das Risiko scheut.

Abrechnung mit den Nörglern

Es gibt genug Statistiken, die diese Mär widerlegen. Und vermutlich wäre man mit so einer Spielweise auch nicht seit sieben Jahren Stammkraft bei Real, man würde nicht Weltmeister, gewänne nicht viermal die Champions League, nicht etliche nationale Titel in Deutschland und Spanien. Kroos selbst weiß das, der 31-Jährige hat gelernt, mit Kritik zu leben. Auch wenn der Umgang damit bisweilen etwas arrogant wirken mag. Bei der WM 2018 etwa nutzte er sein spätes Siegtor gegen Schweden prompt zur öffentlichen Abrechnung mit all jenen notorischen Nörglern daheim, "die sich sicher gefreut hätten, wenn wir heute rausgeflogen wären. Aber so leicht machen wir es denen nicht". Raus flogen sie dann eben gegen Südkorea.

Als Kroos nun im täglichen Pressetalk im DFB-Quartier in Herzogenaurach eine etwas blumig formulierte Frage nach seinem Spielstil und seinem Wert für die teils neuformierte Mannschaft gestellt bekommt, fühlt er sich offenbar provoziert, wird schmallippig. "Ich habe mein Spiel nicht verändert und werde das auch nicht tun", sagt er trotzig. Und fügt süffisant an: "Es wird immer so sein, dass wir den Ball haben wollen."

Zwei Brüder, ein Podcast

Ansonsten wirkt Kroos, der früher als scheuer, betont unglamouröser Antiheld galt, spürbar gereift, in sich ruhend, selbstbewusst, manchmal sogar witzig. Die Frage einer Reporterin aus Madrid beantwortet er trotz anwesendem Dolmetscher souverän auf Spanisch, "ich kann das, kein Problem". Dass Kroos ein kluger Kopf ist und reflektiert über den Fußball und das Leben zu reden vermag, lässt sich auch im Podcast "Einfach mal luppen" hören, den die Gebrüder Kroos wöchentlich aufnehmen.

Der Beweis: Toni Kroos spielt den Ball gelegentlich auch nach vorne. Vier Letten schauen staunend zu.

Der Beweis: Toni Kroos spielt den Ball gelegentlich auch nach vorne. Vier Letten schauen staunend zu. © Moritz Mueller via www.imago-images.de, NN

Zu Kroos’ Coolness beitragen dürfte das Standing, das er in der DFB-Auswahl nach wie vor genießt. Kein Spieler stand in der 15 Jahre währenden Ära von Joachim Löw öfter und länger auf dem Rasen. Zweifel an Kroos wischte der Bundestrainer erst kürzlich in einem dpa-Interview nonchalant beiseite. "Grundsätzlich ist es für mich ja nichts Neues, dass sich an solchen Spielerpersönlichkeiten bisweilen gerieben wird", befand Löw lapidar und erinnerte an die öffentlichen Diskussionen, die es 2014 um Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger und Miroslav Klose gegeben hatte. Dann gewannen sie die WM.


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Soll heißen: Die Nummer Acht wird wohl auch bei ihrem sechsten großen Turnier, diesmal an der Seite von Ilkay Gündogan, eine Schlüsselrolle in der deutschen Schaltzentrale einnehmen. Trotz ambitionierter jüngerer Konkurrenz wie Leon Goretzka oder Joshua Kimmich. Kroos, sagte Löw noch, sei "ein Vorbild an Professionalität. Besser kann man sich nicht auf den Job vorbereiten, mehr kann man nicht machen". Kroos kennt seinen Körper aber sehr genau. "Ich bin mittlerweile in der Gruppe Regeneration angekommen", scherzt der Routinier, als er auf die verschiedenen Möglichkeiten der Freizeitgestaltung im mittelfränkischen Home Ground angesprochen wird.

Das Team scheint Löws Nibelungentreue zu seinem Chefstrategen zu akzeptieren. "Er ist der Spieler, der am schwierigsten vom Ball zu trennen ist, weil er immer die Ruhe behält", schwärmt der junge Kollege Robin Koch, der ebenfalls in Herzogenaurach auf dem Podium sitzt.

Der Mahner vor Russland

Die Ruhe behält Kroos auch, wenn er Prognosen für das Turnier abgeben soll. Der gebürtige Greifswalder, mit 16 Jahren von Hansa Rostock in die Jugend des FC Bayern gewechselt, ist schon von seinem nordischen Naturell her jeglicher Euphorie unverdächtig. Vor dem WM-Desaster 2018 in Russland hatte Kroos den Mahner gegeben – und Recht behalten. "Ich hätte gerne darauf verzichtet."


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Der EM scheint Kroos optimistischer entgegenzublicken. Zwar zählt der 102-fache Nationalspieler Frankreich, am Dienstag (21 Uhr) in München der deutsche Auftaktgegner, zu "den Top-Favoriten auf den Titel", die DFB-Elf stehe "einen Schritt dahinter". Dennoch brauche man sich "überhaupt nicht zu verstecken".

Weiter vorausschauen mag Kroos angesichts der anderen Hürden Portugal und Ungarn nicht. Der größte Gegner, findet Kroos, sei die gesamte Vorrunde, "die Gruppe zu überstehen wäre erst einmal ein Statement". Bei dem der Querpasstoni noch einmal ein Wörtchen mitreden soll.

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