Hauptversammlung bei Siemens: Joe Kaeser übergibt Macht an Roland Busch

31.1.2021, 05:48 Uhr
Machtwechsel bei Siemens: Joe Kaeser gibt den Vorstandsvorsitz auf der Hauptversammlung ab, Roland Busch übernimmt.

© Peter Kneffel, dpa Machtwechsel bei Siemens: Joe Kaeser gibt den Vorstandsvorsitz auf der Hauptversammlung ab, Roland Busch übernimmt.

Was passiert, wenn zwei Silberrücken dasselbe Revier beanspruchen, gehört zu den dramatischen Höhepunkten jeder Tierdoku im TV. So gesehen ist es ein kleines Wunder, dessen Zeugen die Zuschauer nächste Woche live vor ihren Bildschirmen werden werden - bei der digitalen Siemens-Hauptversammlung 2021. Einer so Richtungsweisenden wie lange nicht mehr.

Vorstandswechsel bei Siemens oft turbulent

Mittwoch ist es so weit, Joe Kaeser tritt als Vorstandschef ab, diesmal tatsächlich, Roland Busch übernimmt. Und, so nicht noch Ungeheuerliches in den letzten Tagen geschieht: beide unverletzt. Das ist keine Selbstverständlichkeit in einem Konzern, in dem turbulente Machtwechsel zuletzt Tradition hatten. So war es bei von Pierer auf Kleinfeld, bei Kleinfeld auf Löscher und zuletzt 2013 bei Löscher auf Kaeser.

Auch dieses Mal war alles dafür bereitet. Im Konzern gilt es als offenes Geheimnis, dass sich Kaeser durchaus noch eine weitere Amtszeit zugetraut hätte. Doch war er schlau genug, sein Interesse zwar über die Medien - das Spiel mit diesen ist eine seiner Königsdisziplinen - anzudeuten. Die Reaktion aus dem Aufsichtsrat aber richtig zu deuten und es lieber nicht darauf ankommen zu lassen.

Gute Zahlen entspannen Lage bei Siemens

Quasi als Dank dafür, Siemens einen offen ausgetragenen Revierkampf erspart zu haben, darf Kaeser den Titel des Vorstandsvorsitzenden noch bis zu dieser Hauptversammlung tragen. Sein Nachfolger Roland Busch musste sich vorerst mit dem Titel des Stellvertreters bescheiden, obwohl er bereits seit Oktober die operative Verantwortung trägt.

Dass die beiden Alphatiere die Monate der de-facto-Doppelspitze nach außen geräuschlos über die Bühne brachten, dazu hat freilich auch beigetragen haben, dass Siemens wirtschaftlich derzeit gut dasteht. Und nur die Corona-Beschränkungen sind es, die Kaeser wohl einen Abschied unter dem Applaus stehender Aktionäre verwehrt haben.

Waren es doch gerade ihre Interessen, die dem gelernten Finanzerer stets besonders am Herzen lagen. Den alten integrierten Industriekonzern hat Kaeser gesprengt, die Gesundheitssparte und das Energiegeschäft als jeweils eigenständige Unternehmen an die Börse gebracht - alles mit Blick auf die Entwicklung der Aktienkurse. Hätte er die Zeit noch gehabt, der Bereich Mobility wäre wohl der nächste gewesen.

Roland Busch dürfte weitere Zerschlagung stoppen

Dazu wird es nun aber nicht mehr kommen, das hat Roland Busch bereits durchblicken lassen (Zitat: "Ich denke, das Portfolio, das wir jetzt bei Siemens haben, ist sehr widerstandsfähig."). Es ist nicht zuletzt eine Geste an die Belegschaft. Nicht, dass die Zahlen im Konzern künftig keine Rolle mehr spielen werden, da geben sich hohe Betriebsratsmitglieder keinen Illusionen hin. Und wollen das auch nicht.


Siemens Healthineers wird zum großen Corona-Gewinner


Dennoch ist die Hoffnung an den Standorten groß, dass nach dem studierten Betriebswirtschaftler Kaeser mit dem studierten Physiker Busch auch alte Tugenden wie Ingenieurskunst und Erfindergeist neue Wertschätzung erfahren, statt lediglich Mittel zum Zweck zu sein. Der Neue gibt sich demütig: "Jeden Tag lerne ich dazu."

Erster Mittelfranke seit Heinrich von Pierer

Erstmals seit Heinrich von Pierer, der vor wenigen Tagen seinen 80. Geburtstag feierte, rückt mit Busch auch wieder ein Mittelfranke an die Konzernspitze - und wieder ist es ein Mann aus Erlangen. Der Vater leitete eine Hauptschule, die Mutter arbeitete bei der Sparkasse. Die heimliche Siemens-Hauptstadt nennt Busch bis heute seinen Wohnsitz.


Kommentar zu Siemens: Zahlen gut, Belegschaft verunsichert


Der 56-Jährige gilt als gradlinig und technikverliebt. Er kennt nicht jede Schraube, aber genug, um auch noch die richtige Frage nach der Nachfrage zu stellen. Er spielt Westerngitarre, mag die Musik der 80er-Jahre ("Toto"!) und greift im Urlaub gern zu Stift und Zeichenbrett (Zitat: "Dabei schalte ich ab."). Körperliche Fitness ist ihm wichtig, regelmäßig wird er beim Krafttraining und Seilspringen gesichtet.

Busch ist ein Siemens-Eigengewächs

Der Spitzenmanager hat seine gesamte Karriere bei Siemens verbracht, wo Kaeser-Vorgänger Peter Löscher als sein Förderer galt. Selbst als besonders prägend empfand Busch die Zeit in Shanghai als Chef der Region Asien-Pazifik von Siemens VDO Automotive. Für höhere Aufgaben empfahl er sich spätestens, als er ab 2007 die heutige Mobilitätssparte wieder in die Spur brachte, die mit einer Serie technischer Mängel und verspätet ausgelieferter Verträge den Ruf des Konzerns zu beschädigen drohte.

Von Kaeser übernimmt Busch einen Konzern, der im Kern finanziell gesund ist. Das ist nicht wenig, bedenkt man etwa die Nöte, mit denen sich der einst von den Investoren als Vorbild gepriesene US-Erzrivale General Electric aktuell herumschlägt. Gewaltig allerdings sind auch die Aufgaben, vor denen Siemens in den kommenden Jahren steht: Die Digitalisierung krempelt in vielen Branchen die vertrauten Geschäftsmodelle um, der Klimawandel ist Bedrohung und Marktchance in einem - und der deutsche Industriekonzern immer drin. Es bleibt spannend.

Verwandte Themen


Keine Kommentare