Melissa Di Donato

Suse-Chefin im Interview: "Technologie ist auch was für Mädchen"

6.10.2021, 05:55 Uhr
Melissa Di Donato, 47, ist seit Mitte 2019 Vorstandsvorsitzende (CEO) von Suse. Im Bereich Unternehmenstechnologie gilt sie seit mehr als 20 Jahren als eine der führenden Top-Managerinnen.  Sie lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in der Nähe von London, engagiert sich für die Förderung junger Frauen und hat bereits drei Kinderbücher geschrieben.

© Suse/ Kurt Rebry, NN Melissa Di Donato, 47, ist seit Mitte 2019 Vorstandsvorsitzende (CEO) von Suse. Im Bereich Unternehmenstechnologie gilt sie seit mehr als 20 Jahren als eine der führenden Top-Managerinnen.  Sie lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in der Nähe von London, engagiert sich für die Förderung junger Frauen und hat bereits drei Kinderbücher geschrieben.

Was war Ihre Motivation, bei Suse einzusteigen?

Melissa Di Donato: Als mich der Anruf des skandinavischen Finanzinvestors EQT mit der Frage erreichte, ob ich Interesse hätte, die nächste CEO von Suse zu werden, habe ich erst einmal viel recherchiert und mit Kunden, Business Partnern und Mitarbeitern gesprochen. Was mich von Beginn an faszinierte, war die starke Unternehmenskultur, das tief verankerte Ethos der Open-Source-Welt, und wie Suse durch sein Open-Source-Modell mit seiner vielfältigen Community die Innovationen vorantreibt, die sich unsere Kunden wünschen.

Sie haben vielleicht gelesen, dass ich eine leidenschaftliche Verfechterin von DEI - also Diversität, Chancengleichheit und Inklusion - in der Technologie-Branche bin.

Ja, was hat das mit Suse zu tun?

Di Donato: Viele der traditionellen Hürden, sei es geografischer, politischer oder geschlechtsspezifischer Natur, spielen bei Open Source keine Rolle. Wir sind in fast jeder Hinsicht eine Gemeinschaft ohne Grenzen, und Suse lebt diese Offenheit jeden Tag.

Darüber hinaus wurde mir auch bewusst, wie allgegenwärtig Suse und seine Software ist. Suse treibt die Wirtschaft an. Wir sind überall! 60 Prozent der Fortune-500-Unternehmen, alle Top-10 Automobilhersteller weltweit und neun von zehn Einzelhändlern vertrauen auf Suse – um nur einige Beispiele zu nennen. Unsere Software steuert autonome Fahrsysteme, Kernspintomografen, Flugkontrollsysteme, Supercomputer für die Wettervorhersage, Satelliten, Züge und Flugzeuge. Und ich könnte Ihnen noch sehr viel mehr Beispiele nennen.

Haben Sie bereits das Headquarter in Nürnberg besucht?

Di Donato: Als CEO war es für mich sehr wichtig, den Hauptsitz in Nürnberg und damit in Deutschland zu belassen. Vor der Pandemie war ich regelmäßig in Nürnberg, um mich mit Mitarbeitern, Kunden und Partnern zu treffen. Ich freue mich sehr auf die Zeit, in der das Reisen wieder einfacher möglich sein wird.

Zu Beginn meiner Tätigkeit war es mir ein zentrales Anliegen, Mitarbeiter aus aller Welt zu treffen, und wo könnte man besser damit beginnen als in Nürnberg? Mein erstes CEO Frühstücksmeeting habe ich als offenes Forum für unsere Mitarbeiter gestaltet. Es war wunderbar, die Menschen, die Suse bereits seit Jahrzenten begleiten, persönlich zu treffen und mehr über ihre Erfahrungen zu hören. Dies war eine sehr positive Erfahrung, die wir während meines ersten Jahres als CEO in den Büros auf der ganzen Welt wiederholt haben.

"Glaube grundsätzlich nicht an Quoten"

Bis zum Jahr 2026 wollen Sie 30 Prozent der Management-Positionen mit Frauen besetzen. Wie soll das in der IT-Welt umgesetzt werden, die immer noch durch Männer dominiert wird?

Di Donato: Die Büchse der Pandora: Geldgeschäfte im Graubereich Von Jörn Bender und Friederike Marx, dpa Wenn wir heute über Frauen sprechen, sehe ich immer noch viele Hindernisse, die ihnen in den Weg gestellt werden – insbesondere berufstätigen Müttern. Deswegen brauchen wir flexiblere Arbeitszeitregelungen. Bei Suse bieten wir unseren Mitarbeitern eine hohe Flexibilität bezüglich ihrer Arbeitszeiten und ihres Arbeitsorts. Eine meiner ersten Amtshandlungen war die Einführung des „Women in Tech“-Netzwerks sowie eines Mentorenprogramms. Für mich und meine Karriere war Mentoring extrem hilfreich und entscheidend für meinen Erfolg als Frau in der Technologie-Branche.

Wie hoch ist die derzeitige Frauenquote?

Di Donato: Das mag kontrovers klingen, aber ich glaube persönlich nicht an den Erfolg von einer Quote für Frauen in Führungspositionen. Ich glaube grundsätzlich nicht an Quoten, weil sich in der Konsequenz jeder Mann fragen wird, ob ich meine Position aufgrund einer Quote erlangt habe. Sie würden meine Kompetenzen, meine Person und meine Fähigkeiten in Frage stellen, nur weil ich eine Frau in einem Quotensystem bin.

Allerdings glaube ich fest daran, dass wir Ziele und Anreize setzen müssen, um Frauen zu zeigen wie großartig die Technologie-Branche ist. Daher spreche ich mich für die Festlegung von Zielen, und nicht die Festlegung von Quoten für Frauen in Führungspositionen aus. Das ist, in Kombination mit einem zielgerichteten Mentoring-Programm, eine konkrete Maßnahme, die Unternehmen ergreifen können, um mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen.

Wie kann die IT-Branche für Frauen attraktiver gestaltet werden?

Di Donato: Dieses Problem versuche ich bereits seit 25 Jahren zu lösen. Meiner Meinung nach müssen wir dieses Problem aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten, und es auf einige wenige Faktoren herunterbrechen. Lassen Sie mich auf zwei dieser Faktoren näher eingehen.

Gerne!

Di Donato: Wir müssen Schülern aller Altersgruppen den Zugang zu Technologie ermöglichen. In meiner Kindheit arbeiteten und tüftelten Jungs an Computern und dieses Hobby entwickelte sich häufig zu einer Karriere weiter. Dort müssen wir ansetzen und zeigen, dass Technologie auch etwas für Mädchen ist.

Es geht aber auch um Selbstbewusstsein. Viele Mädchen fühlen sich nicht zugehörig – ich habe das als Mädchen definitiv so empfunden. Ich liebte die Wissenschaft und habe mich für einen Physikkurs für Fortgeschrittene angemeldet, den Kurs dann aber ausfallen lassen, weil es uncool war – keine meiner Freundinnen nahm teil. Ich hatte alles, was ich brauchte, um erfolgreich zu sein, nur nicht den Glauben und das Vertrauen in mich selbst, dass ich dazu gehörte.

Wie kann man das ändern?

Di Donato: Das ist der Grund, warum mein Ehemann und ich die Stiftung „Inner Wings“ ins Leben gerufen haben. Ziel ist es, jungen Mädchen Selbstvertrauen zu schenken – ganz egal, ob sie Astronautinnen, Fußballstars, Mathematikerinnen oder Softwareentwicklerinnen werden möchten. Wir sind überzeugt, dass im richtigen Selbstvertrauen der Schlüssel zu allen Aspekten im Leben liegt, einschließlich des Berufslebens. Mit unseren Programmen fokussieren wir uns auf das Reden in der Öffentlichkeit, auf Meditation, auf Improvisation, und auf den sehr wichtigen Bereich des Mentorings.

Sie sprachen vorhin von zwei Faktoren...

Ja, wir haben da noch die „Falltür“, der viele Frauen in der Mitte ihrer Karriere begegnen. Sie verlassen die Technologie-Industrie, weil sie eine Familie gründen wollen oder ihre Eltern pflegen müssen, oder weil sie nicht die einzige Frau unter Männern sein wollen. Deshalb brauchen wir etwas wie ein Rückkehr-Programm, und selbstverständlich müssen wir insgesamt sehr viel mehr unternehmen, sodass Frauen sich durchsetzen und weiterhin Management-Positionen besetzen können.

"Sollte keine Hosen tragen"

Sie waren die erste Frau in Deutschland, die ein Milliarden-Euro-Unternehmen an die Börse geführt hat. Wie ist es dazu gekommen?

Di Donato: Ich mag vielleicht die erste, aber bestimmt nicht die letzte Frau sein. Ich bin sehr stolz, dass mein Führungsteam und ich Suse in einem rein virtuellen Prozess erfolgreich an die Frankfurter Börse gebracht haben. Wir hatten bereits Erfahrung mit virtuellen Prozessen, da wir rund sechs Monate vor dem Börsengang Rancher Labs gekauft haben, ein führendes Unternehmen im Bereich Kubernetes und Edge-Technologien – auch das ist rein virtuell abgelaufen!

Der Börsengang ist für uns ein großer Erfolg, denn es ist der erste Schritt zu langfristiger Flexibilität. Dies ist entscheidend für unser weiteres Wachstum und für die Entwicklung neuer Technologien.

Warum sind Sie in die IT-Industrie gewechselt?

Di Donato: Ich habe Russisch in Washington D.C. studiert, mit dem klaren Ziel für die US-Regierung zu arbeiten und die erste weibliche Diplomatin in Moskau zu werden. Madeleine Albright war eins meiner ersten Vorbilder. Neben Russisch habe ich Italienisch gelernt, etwas Spanisch und Farsi. Meine berufliche Karriere begann ich in der Technologie-Branche, nachdem ich mit einem Mentor über meine Pläne für die Zeit nach dem Studium gesprochen hatte. Er hat mir ein deutsches Unternehmen empfohlen: SAP. Er sagte: „Das wird sich durchsetzen.”

Das übte einen ähnlichen Reiz auf mich aus, wie die Arbeit für die Regierung – ich wollte in der Welt etwas bewirken. Mit seiner Unterstützung habe ich ein Praktikum bei einem großen Technologie-Unternehmen bekommen, wo ich die Software von SAP kennenlernte. Und so bin ich zu einer Entwicklerin und Programmiererin geworden. Ich besuchte die SAP-Akademie und studierte noch einmal, um alle meine Zertifikate zu erhalten.

Können Sie coden? Was mögen Sie am meisten dabei?

Di Donato: Meine Liebe fürs Programmieren habe ich direkt zu Beginn meines Studiums an der SAP-Akademie entdeckt. Später in meiner Funktion als SAP-Beraterin im Change-Management für die globale Implementierung von ERP, hat mir das Coden geholfen, besser zu verstehen, wie wir die Probleme unserer Kunden am besten lösen können.

Als ich das Programmieren lernte, war ich eine von zwei oder drei Frauen in einer Gruppe mit ein paar hundert Männern. Mir wurde gesagt, dass ich keine Hosen tragen sollte – was ich damals für selbstverständlich hielt. Zu einem späteren Zeitpunkt in meiner Karriere, als ich im Bereich Technologie-Sales tätig war, wurde ich immer noch mit vielen Vorurteilen konfrontiert, die ich nicht akzeptieren wollte.

Deshalb liegt mir die Förderung zukünftiger Generationen weiblicher Führungskräfte so sehr am Herzen.

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