Das Defensiv-Desaster des FCN: Wer stehen bleibt, verliert

12.5.2021, 05:55 Uhr
Mit 2:5 unterlag der 1. FC Nürnberg dem Hamburger SV.

© Sportfoto Zink / Daniel Marr, Sportfoto Zink / Daniel Marr Mit 2:5 unterlag der 1. FC Nürnberg dem Hamburger SV.

Schmerzen im Fuß können aus einer Verletzung ebendieses resultieren. Treten zudem aber Taubheits- und Schwächegefühle im Bein auf, legt das eine tiefergehende Ursache des Leidens nahe. So strahlt beispielsweise eine Ischiasnervreizung, die unter anderem durch einen Mangel an Bewegung entsteht, vom Rücken bis ins Bein aus.

Warum dieser medizinische Exkurs in einen Text über den 1. FC Nürnberg einleiten soll? Weil das beschriebene Phänomen viel aussagt über den ruhmreichen Altmeister – nicht über dessen derzeitige Verletzungsmisere und das Rumpfaufgebot, mit dem der Club im Hamburger Volksparkstadion auftreten musste, sondern über das 2:5-Debakel und eine desolate Defensivleistung. Ob beim Rücken oder beim FCN: Das Symptom äußerte sich (auch) an anderer Stelle als sein Auslöser.

Fehlerkette vor dem 0:1 beginnt bei Shuranov

Ein Beispiel liefert symptomatisch das erste Tor des Abends: In der 30. Minute luchst erst Robin Hack tief in der eigenen Hälfte und neben dem eigenen Strafraum Bakery Jatta den Ball ab, sucht dann den riskanten Weg und löst die Situation mit einem Beinschuss an der Seitenauslinie und einem Pass auf Johannes Geis zunächst auf. Der Sechser gibt das Leder weiter zu Tim Handwerker, der vertikal auf den entgegenkommenden Erik Shuranov spielt. So weit, so gut.


"Gurkenspiel": Gemischte Gefühle unter Cluberern beim 2:5


Der Youngster versucht dann aber mit dem als resolut, abgezockt und zweikampfstark bekannten Abwehrmann Toni Leistner im Rücken den Ball anzunehmen, statt auf den freistehenden Tom Krauß klatschen zu lassen. Demnach geht Leistner als Sieger aus dem Duell, Shuranov zu Boden, das Spielgerät zu David Kinsombi und der sonst gefällig aggressive Krauß? Geht nirgendswo hin, er bleibt stehen und lässt den Hamburger wenige Meter an ihm vorbeispazieren. Und der HSV-Sechser flankt auf den zweiten Pfosten, wo sich Enrico Valentini gnadenlos verschätzt und Kittel in den Rückraum ablegt. Dort wartet der Torschütze, der ohne Druck – weder von hinten noch von vorne – Asger Sörensen anschießen und damit mehr oder weniger seinen ersten Profitreffer erzielen kann.

Als weitere Beispiele seien die darauffolgenden drei Torerfolge der Gastgeber genannt: Bei der Drei-gegen-Drei-Situation im Strafraum vor dem 2:0 der Hausherren stand nicht nur Jatta, der vom Durchrutschen der FCN-Kette nach Valentinis verlorenem Zweikampf profitierte, frei. Auch Leibold und Meißner konnten unbedrängt im Strafraum laufen beziehungsweise den Ball zum noch besser postierten, noch freieren Kollegen weitergeben. Auch beim 3:1 und dem 4:1 blieb der Rückraum frei.

Kein Druck, schwache Zweikampfführung und träges Verschieben

Mitunter pferchten sich sieben Clubspieler am eigenen Strafraum ein, das Team von Horst Hrubesch durfte ähnlich wie beim Handball das Spielgerät rund um diesen Block zirkulieren lassen. "Die ersten vier Tore waren relativ ähnlich, wir kriegen keinen Druck gegen den Ball, sind nicht aggressiv genug und verteidigen nicht gut nach", analysierte Robert Klauß auf der Pressekonferenz.


2:5-Klatsche! Der Club geht beim Hamburger SV unter


Zu selten kam der FCN ins aktive Verteidigen, zu oft kam der FCN insbesondere nach trägen Verschiebebewegungen den Hamburgern nicht hinterher. Flankiert werden die Defizite in der Defensive unter anderem von einem zwar kleinen, aber dennoch enorm unnötigen und ungeschickten Foulspiel von Nikola Dovedan, der Vagnoman schlichtweg anspringt und sich auch einmal im Verbund mit Tim Handwerker foppen ließ, von einem Stehenbleiben einiger Nürnberger, und einer "Alibigrätsche" (O-Ton Torsten Mattuschka) von Robin Hack.

Anstatt den auf ihn zulaufenden Kinsombie vor dem 0:1 im Mittelfeld zu attackieren, rutschte der Nürnberger Lockenkopf durch einen potenziellen Passweg nach außen, um ein mögliches Zuspiel abzufangen. Eine recht unkonventionelle Lösung in dieser Situation und ebenfalls mit Symbolkraft: So lief der Club mit wenig aussichtsreichen Abwehraktionen, die noch dazu beim wahrscheinlichen Scheitern den jeweiligen Spieler aus der Aktion nehmen, des Öfteren ins offene Messer – und hätte der HSV diese Situation besser ausgenutzt, wäre der historische Torrekord schon früher eingestellt worden. Andererseits: Wären die mitunter grund- und planlosen Grätschen wider Erwarten geglückt, spräche man vielleicht im Nachgang von Aggressivität, guter Antizipation und Leidenschaft.


FCN-Vorstellung im Volkspark war phasenweise peinlich


Letztere bescheinigte Christian Mathenia, der trotz einer befriedigenden Leistung (Note 3,5) fünfmal hinter sich greifen musste, einzig den Gegnern. Der HSV habe "viel Leidenschaft und viele Emotionen reingepackt und sich den Sieg verdient". Nicht weil die Rothosen es, wie es Johannes Geis zu Protokoll gab, "einfach besser gemacht hatten", sondern weil der Club vieles vermissen ließ, was in den Partien zuvor gut war: Intensität, Pressing, Aggressivität.

Stattdessen verfiel der FCN zurück in alte Muster, offenbarte desolate Ab- und Zustände in der Defensive, agierte gedanklich und körperlich träge, kam schwer in die Zweikämpfe und bestritt diese nur selten erfolgreich. "Wir haben uns bei den Gegentoren zu einfache Fehler geleistet", bilanzierte Johannes Geis, der sich eigentlich auf die "geilen Spiele" im Saisonendspurt gefreut hatte. Einfache Fehler, vermeidbare Fehler, die am Montagabend nicht nur die beiden Innenverteidiger begingen.


Zweiter Neuzugang: FCN sichert sich "stabilen" Schindler


Freilich: Lukas Mühl (Note 6), der laut Berichten der Rheinischen Post und des Kölner Express bei Düsseldorf und Köln auf der Liste stehen soll, und Asger Sörensen (Note 5) trugen mit unterirdischen Leistungen maßgeblich zur Niederlage bei. Beinschusseigentor, Elfmeter und – man kann es kaum in Worte fassen – einfach ein "Stehenbleiben": An vier der fünf Gegentore war mindestens einer der beiden zentralen Abwehrmänner beteiligt. Allerdings ging ihren Aktionen stets eine lange Fehlerkette voraus, die mitunter in vorderster Linie begann und sich letztlich bis vor das eigene Tor durchzog. Die Rücken-Probleme aus dem Mittelfeld strahlten aus in den Fuß, an dem sich die Symptome besonders stark äußerten – und der an diesem Tag ohnehin in schlechter Verfassung war.

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