Experte: "Gegen jede Art Rückenschmerz hilft Bewegung"

27.4.2021, 15:30 Uhr
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© Foto: Marijan Murat/dpa

Immer wieder forschen Professor Dr. Wolfgang Kemmler und PD Dr. Simon von Stengel am Institut für medizinische Physik der Universität Erlangen-Nürnberg zum Thema Rückenschmerzen. Kaum etwas beschäftigt die Menschen so sehr wie die Probleme mit dem Bewegungsapparat. Kommt Osteoporose, also Knochenschwund, hinzu, sorgen Brüche, Haltungsschäden und chronische Schmerzen für einen Verlust an Lebensqualität. Hier wollen die Forscher in einer neuen Studie ansetzen – und suchen Probandinnen, deren Leben sie im Idealfall in nur drei Monaten signifikant verbessern wollen. Ein Gespräch mit Dr. Simon von Stengel über Schmerzen, Bewegungsmangel und einfache Wege, den Rückenschmerz loszuwerden.

 Herr Dr. von Stengel, Rückenschmerzen kennt jeder – sind sie auch im Jahr 2021 noch die Volkskrankheit Nummer 1?

Absolut: Allein 80 Prozent der Deutschen leiden unter Rückenschmerzen. Schmerzen am Bewegungsapparat sind darüber hinaus die häufigste Ursache für Krankschreibungen, auch als Grund für eine Arbeitsunfähigkeit stehen sie in der Häufigkeit an Nummer zwei – gleich hinter psychischen Erkrankungen.

"Bei acht von zehn Personen kennt man keine Ursache"

Ist Bewegungsmangel die häufigste Ursache für Rückenschmerzen?

Bei acht von zehn Personen sind die Rückenschmerzen unspezifisch, also ohne erkennbare Ursache. Gerade hier spielt Bewegungsmangel eine große Rolle. Umgekehrt könnte man sagen: Wer seine Wirbelsäule ausreichend bewegt und die Muskulatur trainiert, schafft Wohlbefinden, Beweglichkeit und Belastbarkeit der Wirbelsäule.

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Wer sich bewegt, dem geht es automatisch besser?

Genau. Es geht dabei nicht einmal nur um spezifisches Rückentraining. Bewegung an sich, auch zum Beispiel das Nordic Walking, hat schon maßgebliche, positive Effekte auf Rückenschmerzen. Warum? Die Muskulatur wird gelockert und entspannt, die Durchblutung wird verbessert, der Stoffwechsel angeregt. Ergänzt idealerweise durch spezifische Übungen, die Kraft und Stabilität der Wirbelsäule verbessern, sorgt das dafür, dass man Rückenschmerzen entweder gar nicht erst bekommt – oder sie nachhaltig und wirksam bekämpft. Auch bei Dysbalancen oder Einschränkungen der Mobilität sorgen die positiven Effekte der Bewegung dafür, dass man wieder mobiler wird.

"Die Leute bewegen sich durch Corona noch weniger"

Mobilität, Bewegung an der frischen Luft – das ist im Lockdown schwierig. Wir alle sind ja dazu aufgerufen, zu Hause zu bleiben.

Studien zeigen bereits, dass sich die Menschen seit Corona weniger bewegen – die Wegstrecken zur Arbeit fallen weg, Fitnessstudios sind geschlossen, Kurse fallen aus, wir sitzen zu Hause. Darunter leidet natürlich die Bewegung – und damit nehmen nachweislich auch Rückenschmerzen durch die Pandemie zu. Eine weitere Rolle spielt das Homeoffice – wo nur selten ergonomische Möbel zur Verfügung stehen. Daher sollte jeder aktiv Maßnahmen ergreifen und sich mehr bewegen und systematisch trainieren.

Wie kann das konkret aussehen?

Experte:

Durch bewegte Pausen oder ein spezifisches Trainingsprogramm – hier erzielt man bereits bei nur zehn Minuten pro Tag große Effekte. Bei den Büromöbeln macht es sicher Sinn, auf die Arbeitshaltung zu achten und langfristig zu investieren – Homeoffice wird uns ja noch länger beschäftigen. Dauerhaft auf dem Sofa zu arbeiten ist für den Rücken schlecht.

"Zehn Minuten täglich reichen"

Wie kann eine bewegte Pause aussehen?

Alle 90 Minuten sollte man aufstehen, rumlaufen, sich bewegen, kleine Lockerungsübungen machen. Dann sollten einmal am Tag zehn Minuten Kräftigung der Muskulatur folgen mit den Klassikern der Funktionsgymnastik, die manche aus der Krankengymnastik kennen: zum Beispiel Beine anstellen und eine Brücke machen, oder der Vierfüßlerstand. Wenn man das jeden Tag einmal macht, wird das schnell zur guten Gewohnheit.

Es gibt aber auch andere Ursachen für Rückenschmerzen, etwa Verletzungen nach Unfällen oder genetisch bedingte Veränderungen und Schmerzen. Was kann man hier tun?

Man kann sehr viel gegen Rückenschmerzen tun – unabhängig von den Ursachen. Der Schlüssel ist auch hier die Bewegung. Zusätzlich zu konventionellem Training gibt es spezielle Trainingsmethoden, die wir in Studien untersucht haben. So zum Beispiel die Ganzkörper-Elektrostimulation oder das Vibrationstraining, die beide gute Effekte gezeigt haben und gut geeignet waren, auch für Menschen mit starken Schmerzen.

 

"80 Prozent der Patienten sind Frauen"

Eine häufige Ursache ist auch Osteoporose – was ist das eigentlich?

Osteoporose tritt vermehrt im höheren Lebensalter auf, 80 Prozent der Patienten sind Frauen. Osteoporose ist eine Demineralisierung des Knochens, sprich: die Knochensubstanz nimmt ab, die Qualität des Knochens wird schlechter, er verliert Festigkeit – und bricht somit leichter. Das ist bei Stürzen dann schnell passiert – aber es gibt auch spontane Brüche zum Beispiel in der Wirbelsäule, was zu Haltungsveränderungen und massiven Schmerzen führen kann.

Woher kommt Osteoporose?

Die Ursachen sind sehr vielschichtig. Es gibt genetische Gründe, aber auch Bewegungsmangel und Fehlernährung spielen eine Rolle. Medikamente können sich ebenfalls negativ auswirken.

Es kann also jeden treffen?

Es kann jeden treffen!

"Auch die Ernährung ist wichtig"

Kann man sich vor Osteoporose nicht schützen?

Doch. Wir haben mit unseren Studien selbst bewiesen, dass durch ein systematisches Training die Knochendichte gestärkt und sogar erhöht werden kann. Die Bruchneigung reduziert sich. Aber auch Ernährung wirkt sich aus: Speziell Vitamin D, Kalzium, ist besonders wichtig.

Nun haben Sie an der Uni eine neue Studie speziell zu Rückenschmerzen in Verbindung mit Osteoporose geplant. Was wollen Sie herausfinden?

Als Osteoporose-Forschungszentrum der Uni beschäftigen wir uns schon sehr lang auf diesem Gebiet. In der Vergangenheit haben wir meist untersucht, wie man den Knochen trainieren kann. Nun suchen wir Probandinnen, die an Osteoporose leiden. Hier wollen wir herausfinden, wie durch eine spezielle Orthese, also eine Schiene, die Rückenschmerzen gelindert werden und sich die Muskelkraft und Leistungsfähigkeit verbessern lassen.

"Kraft und Atmung werden verbessert"

Was ist das für eine Schiene?

Sie richtet die Wirbelsäule auf und aktiviert die Muskulatur. Damit soll langfristig die Kraft gesteigert werden und auch die Atmung verbessert werden. Es ist also nicht nur eine Schiene, es ist auch eine Art Trainingsgerät.

Wie lang und wie oft muss diese Orthese getragen werden?

Täglich vor- und nachmittags je zwei Stunden über drei Monate. Wir messen zu Beginn und am Ende der Studie – selbstverständlich coronakonform – die Veränderung und Verbesserung in Haltung, Rückenschmerz, Kraft und Beweglichkeit. Im Idealfall schaffen wir es, den Probandinnen so in nur drei Monaten eine deutlich höhere Lebensqualität im Alltag zurückzugeben.

 

Wer weiblich ist, an Osteoporose leidet und Interesse hat, an der Studie des Instituts für medizinische Physik der Uni Erlangen-Nürnberg in Erlangen teilzunehmen, kann sich per Telefon unter (0 91 31) 8 52 39 99 von Mo. bis Fr. zwischen 10 und 12 Uhr informieren und anmelden.

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