Diskussion um Gedenkort

Hupfla Erlangen: Kein authentischer „Ort der Opfer“ mehr vorhanden

14.9.2021, 06:00 Uhr
Von der ehemaligen Heil- und Pflegeanstalt (Hupfla) ist der Westflügel bereits abgebrochen, der Ostteil steht noch, wird aber auch noch abgerissen.

© Harald Sippel Von der ehemaligen Heil- und Pflegeanstalt (Hupfla) ist der Westflügel bereits abgebrochen, der Ostteil steht noch, wird aber auch noch abgerissen.

Bei Drucklegung schwante dem Autor schon, dass einige Erwartungen an den Erhalt der Anstaltsreste hinfällig werden könnten – und so geschah es auch. Der erhoffte Erhalt (von Teilen) der beiden „Flügel“ ist Geschichte, Erlangens OB hat durch einen „Eingriff in das Verfahren“ Anfang Juli Fakten schaffen lassen, nun steht nur noch der Mittelbau für eine Gedenkstätte zur Verfügung.

Der nun weitgehend abgerissene Bau des nördlichen Komplexes der Heil- und Pflegeanstalt (Hupfla) war demnach ursprünglich in den Jahren 1879 bis 1903 das „Gebäude für Ruhige und Halbruhige und Beamte“. Der Nordflügel, also der jetzt weitgehende abgerissene Bau war demnach das Hauptgebäude der sogenannten Pflegeanstalt, die 1874 bis 1879 zur Erweiterung der „Kreisirrenanstalt“ angelegt wurde, und schloss das gesamte Gelände mit seinen 166 Metern zum Schwabachgrund ab.

Die klare Gliederung des Baus war gleichzeitig eine funktionale Gliederung: Der erhöhte Mittelrisalit war Beamten vorbehalten, die Seitentrakte für „ruhige und halbruhige“ Patienten, im westlichen den Frauen, im östlichen den Männern. Krankenstationen gab es im Souterrain.

Die Psychiatrische Universitätsklinik im „Hauptgebäude der Pflegeanstalt“, ab 1903

Ein neuer Abschnitt in der Geschichte des Nordflügels begann 1903, als der größte Teil des Gebäudes an die neu gegründete Psychiatrische Universitätsklinik vermietet wurde. Diese war nur Gast in der Heil- und Pflegeanstalt und dieser in komplizierter Weise unterstellt. So war z.B. der Ordentliche Professor für Psychiatrie und Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik zugleich Oberarzt der Heil- und Pflegeanstalt und damit dem Anstaltsdirektor in vielen Angelegenheiten untergeordnet.

Von 1934 bis 1945 leitete der Erbpsychiater Friedrich Meggendorfer, der durch gezielte Patienten-Verlegungen in die NS-„Euthanasie“-Morde verstrickt war, die Psychiatrische und Nervenklinik der Universität. Meggendorfers Bemühungen um einen Klinikneubau blieben erfolglos, so dass sich an der Raumsituation wenig änderte.

Der Mitterisalit diente weiterhin als Beamtengebäude. Hier befanden sich im Souterrain die Maschinistenwohnung, im Hochparterre ein Hörsaal, das Dienstzimmer Meggendorfers, ein Wartezimmer, das Sekretariat, die Bibliothek sowie ein Ärzte- und ein Untersuchungszimmer. Im Obergeschoss war die Dienstwohnung des Oberarztes, damals also Meggendorfers, untergebracht. Das Dachgeschoss enthielt Wohnungen für Pflegekräfte der Hupfla und gehörte wie das Souterrain zur Heil- und Pflegeanstalt.

In den Seitentrakten des Hochparterres und im Obergeschoss waren – noch immer nach Geschlechtern getrennt – die Patientìnnen und Patienten der Universitätsklinik untergebracht. Im Souterrain des Nordflügels wurden Ende 1942 in der Heil- und Pflegeanstalt Erlangen vermutlich mehrere „Hungerstationen“ eingerichtet.

Ähnliche Hungerstationen entstanden nach dem Hungerkosterlass vom 30. November1942 auch in anderen bayerischen Heil- und Pflege-Anstalten. Nichtarbeitsfähige, pflegeintensive und den Anstaltsbetrieb besonders „belastende“ Patient/innen wurden auf besondere Stationen verlegt, wo ihnen eine kalorienarme „B-Kost“ verabreicht wurde, mit der man sie langsam verhungern ließ. Nach dem gegenwärtigen Forschungsstand wurden in der Erlanger Hupfla mindestens 1000 Patient/innen durch systematischen Nahrungsentzug ermordet.

Über die Beschaffenheit und genaue Lage dieser Hunger- und Sterbeorte ist bislang wenig bekannt. Sicher weiß man nur, dass in den Seitentrakten des Nordflügel-Souterrains zwei Hungerstationen untergebracht waren. Gestützt auf die bisherigen Befunde lässt sich dennoch vermuten, dass sich diese „B-Kost-Stationen“ über die gesamten Seitenflügel des Souterrains erstreckten. Dafür sprechen jedenfalls mehrere Argumente, von den hier zwei genannt seien.

Erstens war das Verhungern durch Mangelernährung ein qualvoller Prozess, der sich über sechs bis acht Monate hinzog. Zur Unterbringung einer größeren Zahl von Kranken über diesen Zeitraum wird eine minimale Infrastruktur (z.B. Toiletten und Waschgelegenheiten) erforderlich gewesen sein. Zweitens wurden die Hungerstationen in einer ehemaligen Krankenstation eingerichtet.

Die größten Räume waren hier der frühere Wohnsaal für 36 Kranke mit 89 Quadratmetern im Seitenrisalit und die beiden Schlafsäle für je zwölf Kranken mit 75 Quadratmetern. Weshalb sollte, so fragt Engelhardt, auch bei einer dichteren Belegung nur einer dieser Räume genutzt worden sein? Allerdings fehlten, so bedauert er, bislang eindeutige archivalische Belege, die diese Überlegungen quellenmäßig erhärten.

Es sei zu hoffen, dass das universitäre Forschungsprojekt zur „NS-,Euthanasie´ in Erlangen“, das seit 2019 das erhaltene Quellenmaterial (Patientenakten, Akten der Kirchenarchive, Prozessakten) systematisch auswertet, zu diesem Thema in nächster Zeit gesicherte Erkenntnisse liefern wird.

Fragen zum „Ort der Opfer“

Obwohl Engelhardt vom Rahmenkonzept der Gutachter Jörg Skriebeleit und Julius Scharnetzky für die Schaffung eines Erinnerungsortes überzeugt ist, hat er darin Schwachstellen ausgemacht. Das bezieht sich vor allem auf die „Verortung“ der Hungerstationen. Wenn sich, wie die beiden Gutachter nahelegen, in den nun bereits abgerissenen Flügelteilen neben dem Mittelbau die Hungerstationen (und damit die Tötungsorte) befunden haben, ist nun auch kein authentischer „Ort der Opfer“ mehr vorhanden.

Das aber würde weitere Fragen nach der Bedeutung des Gebäuderestes für die Erinnerungsarbeit aufwerfen. Fragen, die den öffentlichen Diskurs um den Dokumentationsorts „Geschichte und Ethik der Medizin“ eingebracht werden müssten.

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