"Man of the match" beim 4:2 gegen Portugal

EM-Held Gosens: Spätstarter auf dem nächsten Level

20.6.2021, 16:07 Uhr
Der Mann des Abends: Robin Gosens glänzte mit zwei Vorlagen und einem Tor.

© CHRISTOF STACHE, AFP Der Mann des Abends: Robin Gosens glänzte mit zwei Vorlagen und einem Tor.

Noch vor zwei Jahren war Robin Gosens bei Cristiano Ronaldo recht uncharmant abgeblitzt. Getroffen hatte man sich bei einem Pokalspiel zwischen Atalanta Bergamo und Juventus Turin. Auf die höfliche Frage, ob er nach dem Abpfiff vielleicht das Trikot des portugiesischen Weltstars bekommen könne, erntete der Ronaldo damals vermutlich völlig unbekannte Deutsche nur ein beiläufig-genervtes "No!".

"Ich lief, glaube ich, zumindest, komplett rot an und schämte mich sogar für einen kurzen Augenblick", gestand Gosens. Nachzulesen ist diese Episode in seiner Biografie "Träumen lohnt sich". Nun ist es nicht unbedingt normal, dass ein Fußballer bereits mit Mitte Zwanzig in Buchform sein Leben erzählt. Aber was ist schon normal, wenn es um Robin Everardus Gosens geht?

Als der 26-Jährige am Samstag nach seiner berauschenden Gala beim 4:2 der deutschen Nationalmannschaft gegen Portugal in München zum "Man of the match" gekürt und von den Fans mit Sprechchören gefeiert wurde, war das der vorläufige Höhepunkt einer Karriere, die noch vor wenigen Jahren niemand hatte erahnen können. "Wenn man zurückblickt, welchen Weg ich gegangen bin, einfach unbeschreiblich. Das ist einer der Abende, die ich nie vergessen werde", schwärmte der neue Liebling der Nation.

Dorfdisko statt NZL

Gosens, 1994 geboren in Emmerich am Rhein als Sohn eines Niederländers und einer Deutschen, gilt, ähnlich wie vor ihm die Ex-Nationalspieler Jonas Hector oder Philipp Wollscheid, als Ausnahmeerscheinung im deutschen Profifußball. Der dynamische Linksverteidiger wurde in keinem Nachwuchsleistungszentrum eines großen Vereins ausgebildet, durchlief keine Junioren-Auswahl, als 17-Jähriger fiel er bei einem Probetraining bei Borussia Dortmund durch. Also kickte er mit den Kumpels beim FC Bocholt und später beim VfL Rhede in der münsterländischen Provinz, ging nach den Spielen in der Dorfdisko feiern und plante nach dem Abi eine Laufbahn bei der Polizei. Eine ganz normale Jugend eben.

Bis Gosens einem Scout des niederländischen Erstligisten Vitesse Arnheim auffiel. In der Heimat seines Vaters nahm die Karriere dann doch noch Fahrt auf. Über den FC Dor-drecht und Heracles Almelo landete der Spätstarter 2017 in Bergamo. Mit dem italienischen Überraschungsteam qualifizierte er sich zweimal für die Champions League und weckte das Interesse sowohl des deutschen als auch des niederländischen Verbands. Gosens entschied sich für den DFB, am 3. September 2020 gab er beim 1:1 gegen Spanien sein Debüt in Joachim Löws Auswahl. Mit 26 Jahren. Träumen lohnt sich.

Spätestens seit seinem neunten Länderspiel mit zwei Vorlagen, einem eigenen Treffer und einem artistischen, aber leider aberkannten Abseitstor dürfte der Italien-Legionär sportlich nicht mehr wegzudenken sein aus der deutschen Elf. Mit seiner authentischen, unverkrampften und bodenständigen Art hat Gosens zudem das Zeug zum Publikumsliebling. Anders als viele Kollegen ergeht er sich nicht in Standardphrasen, sondern trägt sein Herz auf der Zunge. Was ihm nach dem Treffer zum 4:1 durch den Kopf ging? „Das war ein emotionales Gefühlschaos, da ist mir mehr als nur einer abgegangen“, sprudelte es aus Gosens heraus. "Es ist ein Traum, dass ich für mein Land die EM bestreiten darf. Wenn man dann noch eine Hütte macht, ist das next level, das ist magisch."

Auch eine kleine Stichelei von Gute-Laune-Onkel Thomas Müller konterte er souverän. Müller hatte gespottet, der nach einer Stunde ausgewechselte Gosens habe nur 60 Minuten geschafft, weil er in Italien spiele. Gosens augenzwinkernde Replik an den bei einer EM nach wie vor torlosen Routinier: "Besser gute 60 als schlechte 90 Minuten. Ich glaube, damit ist das Thema durch." Was wohl auch für die Sache mit Cristiano Ronaldo gelten dürfte. Nach seinem Trikot hat ihn Gosens diesmal jedenfalls nicht mehr gefragt.

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