FCN-Offensive: Wo gedoppelt wird, entstehen Räume

2.12.2020, 06:00 Uhr
Gegen Osnabrück bediente Enrico Valentini Neuzugang Manuel Schäffler, im Derby tat es Robin Hack seinem Kapitän gleich.

© Sportfoto Zink / Wolfgang Zink, Sportfoto Zink / Wolfgang Zink Gegen Osnabrück bediente Enrico Valentini Neuzugang Manuel Schäffler, im Derby tat es Robin Hack seinem Kapitän gleich.

Rein statistisch müsste der 1. FC Nürnberg eigentlich an der Tabellenspitze stehen. Oder zumindest auf einem besseren Platz als dem gegenwärtigen Rang 13: Der Club verfügt über die meisten Torschützen (neun) aller Zweitligisten und kam wie der HSV in jedem der bisherigen Partien zum Torerfolg. Zudem stellt der FCN nach den Spitzenteams aus Bochum (17 Tore), Hamburg und der Nachbarstadt aus dem Westen (jeweils 19 Tore), die unlängst zum Derby im Nürnberger Achteck gastierte, die beste Offensive der 2. Bundesliga (16 Tore).

Im Derby kreierte der FCN besonders in der Schlussphase eine Reihe aussichtsreicher Chancen, auch das Eckenverhältnis von 5:0 spricht für sich. Teil der Wahrheit ist aber auch, dass der Club dennoch verloren hat. Und, dass ihm zum selben Zeitpunkt in der Vorsaison nur ein Treffer weniger gelungen war. Und, dass die Tordifferenz damals wie heute mit +1 jeweils nahezu ausgeglichen war und ist. Der weitere Verlauf der vergangenen Spielzeit ist bekannt.


Einst kleiner Nachbar lässt FCN im Derby alt aussehen


Doch nicht alle Vergleiche mit dem Vorjahr besitzen Aussagekraft. Exemplarisch: die Chancenverwertung. Trotz der geringeren Effizienz der Klauß-Elf (9,6 Prozent) als in der vergangenen Spielzeit (10,5 Prozent) rangiert der 1. FC Nürnberg in dieser Saison derzeit auf Rang vier und ist damit um zwölf Plätze besser als der vergangenen Spielzeit. Wie diese Anomalie entsteht? Sicherlich durch die ebenso durchschnittlich schwächere Torausbeute der Ligakonkurrenten, aber auch durch die absolute Anzahl an abgegebenen Abschlüssen: Nach durchschnittlich 12,6 Versuchen in der Saison 2019/20 schießt der Club unter Robert Klauß 18,4 mal pro Partie auf das gegnerische Gehäuse.


Zu oft zweiter Sieger: FCN lässt im Derby Konstanz vermissen


Ein zunehmend wichtiger Faktor im Nürnberger Angriffsspiel ist nach anfänglichen, auch verletzungsbedingten Problemen (kicker-Notendurchschnitt 3,8 in den ersten drei Einsätzen) Neuzugang Manuel Schäffler, der als Fixpunkt, Wand- und Zielspieler im FCN-Offensivvortrag agiert und mit mehr oder minder präzisen Flanken gefüttert wird. Der zweitbeste Torschütze der vergangenen Zweitliga-Saison schickt sich an, erneut an seinen eindrucksvollen Arbeitsnachweis von 19 Treffern in Wiesbaden anzuknüpfen. Im Trikot des 1. FC Nürnberg trifft er durchschnittlich alle 93 Minuten – und gerne nach Flanken.

So führte den Club das nahezu selbe Muster im Angriffsspiel zum Torerfolg: Sowohl beim zwischenzeitlichen 1:1-Ausgleichtreffer gegen die SpVgg Greuther Fürth, als auch beim Führungstor gegen Osnabrück überspielte der nicht als Feinfuß bekannte Innenverteidiger Lukas Mühl per Chip-Pass an der rechten Seitenauslinie das gesamte Mittelfeld und den Angriff des jeweiligen Gegners, ehe Robin Hack oder Enrico Valentini am Flügel zur Flanke ansetzen und Schäffler jeweils erfolgreich bedienen konnten.

Die Klauß-Elf profitiert in jenem Offensivvortrag von einfachen Prinzipien, indem sie in vielerlei Hinsicht primär im Rücken der Gegner agiert: Dribbelt Mühl nicht zentral, sondern diagonal nach außen an, provoziert er einerseits eine Reaktion des ihn anlaufenden Stürmers, zudem rückt der linke Abwehrspieler des Gegners auf. Nürnbergs Flügelzehner oder Außenverteidiger können in den entstehenden Raum hinter eben diesem stoßen. Im Zentrum bindet Manuel Schäffler, der als wuchtiger und kopfballstarker Torjäger bekannt ist und von der gegnerischen Defensive entsprechend behandelt wird, die Innenverteidiger und hindert diese am Rausrücken auf den Flügel.

Und auch im letzten Pass arbeitet der Club, in diesem Fall erneut der Neuzugang aus Wiesbaden, im Rücken der Abwehr: Zieht Hack beziehungsweise Valentini am Flügel in Richtung Grundlinie, zwingt er den Torhüter, das kurze Eck zu schließen – und damit zugleich den gesamten Rest des Tores zu öffnen. Schäffler hält sich bis zur Hereingabe hinter den Verteidigern auf, sodass diese auf einer Linie zwischen dem Stürmer und den ballführenden Außenspieler stehen – und dadurch an die Grenzen ihres peripheren Sehvermögens stoßen. Verlieren sie doch zwangsläufig entweder Schäffler oder Hack aus den Augen. Hinzu kommt die Gefahr eines Eigentores, die mit einem potenziellen Eingreifen eines Abwehrmannes bei scharfen Hereingaben wie beim 1:0 gegen Osnabrück stets einhergeht.

So abgezockt Schäffler seinen Kopfball gegen Fürth gesetzt hat: Allein seine Präsenz bedeutete Gefahr, gelingt es ihm ob seiner bekannten Qualitäten doch, gleich mehrere Verteidiger zu binden. Und wo einer gedoppelt wird, steht ein anderer frei: Im Derby war in dieser Situation – die ansonsten allerdings nur selten gegeben war – der Sechzehner hervorragend besetzt. Statt der anspruchsvollen Flanke auf Schäffler hätte Hack auch in den Rückraum zu einem seiner beiden einschussbereiten Kollegen ablegen können.


Kein Zugriff: Das zentrale Problem der FCN-Defensive


Zweimal verhalf jene Variante dem Club bereits zum Torerfolg. Sie ist – wie die mitunter ansehnlichen Ansätze der gesamten Offensive und der nun scheinbar angekommene Manuel Schäffler - ein gewisser Mutmacher für künftige Aufgaben. Und auch die blanken Zahlen können trotz der Analogie zur düsteren Vorsaison zumindest im Ansatz Hoffnung schüren.

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