Hecking vor dem Start: "Ein Sportdirektor ist nicht mehr nötig"

17.9.2020, 05:37 Uhr
Hecking vor dem Start:

© Foto: Tom Weller/dpa

Seit Ende Juli ist Dieter Hecking (55) wieder da: Von Dezember 2009 bis Dezember 2012 hatte der gebürtige Westfale den 1. FC Nürnberg bereits erfolgreich trainiert, jetzt arbeitet er als Sportvorstand in leitender Funktion. Es ist Heckings erster Job abseits des Rasens. Einen Namen gemacht hat er sich vor allem in Mönchengladbach und Wolfsburg; beide Vereine führte er in den Europapokal.

Herr Hecking, vermissen Sie eigentlich Dirk Bremser, Ihren ewigen Co-Trainer?

Dieter Hecking: Nein, er ruft mich ja jeden Tag an.


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Er ruft sie jeden Tag an? Im Ernst?

Hecking: Nein, nur Spaß. Aber uns verbindet eine persönliche Beziehung, die über 20 Jahre sehr erfolgreich war. Zum Ende der vergangenen Saison haben wir offen darüber gesprochen, dass ich mir vorstellen könnte, eine Pause zu machen oder etwas ganz anderes. Dass sich unsere Wege trennen könnten.

Und ein Sportvorstand braucht keinen Co?

Hecking: Dirks überragende Qualitäten liegen vor allem bei der Arbeit mit der Mannschaft.

Das heißt: Ein Sportvorstand schafft das alleine?

Hecking: Natürlich nicht. Ich bin sehr dankbar für die Unterstützung, die ich hier in den ersten Wochen vor allem von Niels Rossow und Elke Mai bekommen habe. Aber nicht nur von den beiden. Das ganze Team der Geschäftsstelle hat mir meinen Einstand sehr erleichtert. Das gilt auch für Sebastian Gärtner, dem ich eine schnelle Auffassungsgabe bescheinige und der darüber hinaus auch noch eine Affinität zum Fußball besitzt.


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Das klingt so, als würden Sie gar keinen Sportdirektor mehr suchen.

Hecking: Ich glaube, dass ein Sportdirektor nicht mehr nötig ist. Das würde automatisch zu der Frage führen: Wer macht was? Wer ist für was zuständig? Meine Kernkompetenz liegt ganz klar im sportlichen Bereich, deswegen bin ich auch Vorstand Sport und nicht kaufmännischer Vorstand. Trotzdem müssen wir in den nächsten Monaten und nach der Transferperiode (bis 5. Oktober, d. Red.) unsere interne Struktur weiter optimieren.

Vorbild: Mönchengladbach

Nach dem Vorbild Mönchengladbach, wovon Sie gerne schwärmen? Beschreiben Sie doch mal die Unterschiede zwischen beiden Vereinen.

Hecking: Bei der Borussia sind die Strukturen über Jahre hinweg gewachsen. Auch unterhalb der Führungsebene. Dennoch ist das Entscheidungsgremium sehr klein. Zwei Vorstände, das Präsidium, das war’s.

So groß ist der Unterschied aber doch gar nicht zu Nürnberg. Bei zwei Vorständen plus Aufsichtsrat.

Hecking: Das ist richtig. Auch in Mönchengladbach wird in der Regel das umgesetzt, was sich die Vorstände überlegt haben. Was mir da besonders gut gefällt: Die Sportkompetenz ist lediglich auf drei Personen verteilt. Auf Sportvorstand Max Eberl, auf Steffen Korell, der im Hintergrund einen Riesen-Job erledigt, und auf den Cheftrainer. Wenn sich die drei einig sind, wird zum Finanzvorstand gegangen.

Und wer entscheidet hier? Sie, der Trainer – noch jemand?

Hecking: Nein, wir beide sind aktuell die Entscheidungsträger im sportlichen Bereich. Trotzdem müssen wir schauen, dass die Struktur perfektioniert wird. Dass wir die kurzen Entscheidungswege mit Leben füllen.

So wie bei den Neuzugängen? Schäffler, Köpke, auch Singh oder Früchtl: Pardon, aber das klingt vor allem nach Risikovermeidung.

Hecking: Wir wollten Qualität, nur darum geht’s. Es geht nicht darum, zu experimentieren. Die Mannschaft war in der vergangenen Saison einfach zu inkonstant.

"Fußball von der anderen Seite kennenlernen"

Was war das für ein Gefühl, hier einen Job anzutreten, den Sie eigentlich gar nicht gelernt hatten? Ist man da am ersten Tag aufgeregt, vielleicht sogar nervös?

Hecking: Ich hatte mich ja schon länger damit beschäftigt, vielleicht noch etwas anderes zu machen, den Fußball von einer anderen Seite kennenzulernen. Es war ja nicht so, dass da plötzlich der Anruf aus Nürnberg kam und ich schnell Sportvorstand werden wollte.

Graut es Ihnen jetzt schon vor dem Moment, wenn Sie eines Tages vielleicht mal einen Trainer entlassen müssen? Wie viel Solidarität kann man sich leisten als ehemaliger Trainer?

Hecking: Da helfen mir natürlich meine Erfahrungen als Trainer. Ich werde wahrscheinlich früher spüren, wann es nicht mehr passt, wann ein Trainer seine Mannschaft verloren hat. Ein Trainer merkt das, das ist ein Moment, den man nicht beschreiben kann. Da muss man ganz offen drüber reden. Wer mich kennt, der weiß, dass ich für Klarheit bin. Als Beispiel dienen hier Werder Bremen und Florian Kohfeldt: Da hatte ich aus der Ferne immer das Gefühl, dass die Mannschaft dem Trainer folgt, auch nach den vielen Niederlagen.

Lernen Sie gerade auch noch etwas von Ihrem verhältnismäßig jungen Trainer? Erkennen Sie sich vielleicht in dem einen oder anderen Aspekt seiner täglichen Arbeit wieder?

Hecking: Ich erkenne mich in vielen Aspekten wieder. Als ich vor über 20 Jahren anfing, wollte ich auch immer möglichst als Erster da sein und habe mir auch immer alles ganz akribisch aufgeschrieben, um das Training gut vorzubereiten. Es ging mir selbstverständlich auch um einen guten Austausch mit meinen Spielern und Mitarbeitern. Das macht Robert Klauß auffällig gut. Er ist ein sehr kommunikativer Trainer und hat es in kurzer Zeit geschafft, das Trainerteam für seine Arbeit zu begeistern, den Staff mitzunehmen und seine Spielidee bei der Mannschaft zu implantieren.

Expected Goals, Packing et cetera: Werden Statistiken überbewertet?

Hecking: Das muss jeder für sich entscheiden. Als Trainer spürt man Fußball auf der einen Seite. Auf der anderen Seite nutzt man auch Daten, um das Gefühl mit Fakten zu verstärken. Es lässt sich heutzutage fast alles auswerten. Aber ist ein Außenverteidiger gut, wenn er 10,5 Kilometer gelaufen ist oder erst ab 11,5 oder schon ab 9,5? Den Zusammenhang zum Spiel herzustellen, damit tun sich viele noch sehr schwer. Was bedeutet es, wenn eine Mannschaft 122,8 Kilometer gelaufen ist und trotzdem verloren hat? Wir müssen aufpassen, dass wir es nicht unnötig verkomplizieren.

Der Traum vom Nationaltrainer

Können Sie bereits ausschließlich Sportvorstand sein oder ist der Trainer in Dieter Hecking noch omnipräsent?

Hecking: Die Distanz ist da, das hat mich selbst überrascht. Es war noch nicht einmal so, dass ich das Gefühl hatte, selbst gerne ein Training vorzubereiten und mittendrin zu stehen. Als ich mich entschied, nach Nürnberg zu gehen, war für mich das Trainerkapitel zu Ende. Jetzt schlage ich ein neues auf.

Obwohl Sie eigentlich noch Nationaltrainer werden wollten.

Hecking: Ich war schon immer ein neugieriger Mensch, der sich gern mit vielen Themen auseinandergesetzt hat. Eines davon lautete damals: Warum nicht Nationaltrainer werden? Ich habe ja auch nicht gesagt, dass ich Bundestrainer werden möchte. Die Arbeit als Nationaltrainer hätte mich einfach gereizt.

Gibt es ein Nationaltrainerland, von dem Sie träumen?

Hecking: Sie meinen geträumt haben. Die deutschsprachigen wären natürlich spannend gewesen, wie Österreich oder die Schweiz. Aber auch Belgien oder die Niederlande.

Fünf Pferde und ein Stück Land

Nach acht Jahren mehr oder weniger nah an der niedersächsischen Heimat: Fiel es Ihnen schwer, wieder in den fernen Süden zu ziehen?

Hecking: Ja und nein. Nach Mönchengladbach waren es auch fast 350 Kilometer. Die Familie ist damit natürlich nicht ganz glücklich. Die fünf Kinder gehen bis auf die 18-jährige Charlotte ihre eigenen Wege, sie wäre wohl auch die Einzige, die vielleicht nochmal sagen würde: Papa, du warst eigentlich relativ wenig da. Das könnte irgendwann mal kommen. Meine Frau hatte mir zu einer Pause geraten und hatte nicht ganz Unrecht. Trotzdem möchte ich das Jahr in Hamburg nicht missen.

Und Ihre Frau?

Hecking: Sie ist selbst rund um die Uhr beschäftigt, eine Power-Frau, mit eigenem Yoga-Studio. Wir haben außerdem fünf Pferde und ein Stück Land gekauft, um etwas mit Pferden aufzubauen. Die Tage meiner Frau sind ausgelastet, meine auch. Wir haben für uns entschieden: Solange wir gesundheitlich auf der Höhe sind, sollen beide ihren Traum leben.

Sie reiten auch?

Hecking: Ich bin erst neulich das erste Mal auf einem Pferd gesessen. Ich habe viel Respekt vor Pferden. Was daraus wird, ist noch nicht abzusehen.

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