Vom Vegetarier zum Fleischesser: Unterwegs mit einem fränkischen Jäger

29.6.2020, 06:00 Uhr
Fabian Grimm, 32, mit seinem Jagdhund Akira. Im Hintergrund hängt ein erlegtes Reh. Grimm nimmt noch im Wald die Tiere aus, bevor sie in einer Kühlkammer weiterverarbeitet werden. 

© Privat Fabian Grimm, 32, mit seinem Jagdhund Akira. Im Hintergrund hängt ein erlegtes Reh. Grimm nimmt noch im Wald die Tiere aus, bevor sie in einer Kühlkammer weiterverarbeitet werden. 

Gehörschutz, Handschuhe, Decke, Gewehr. Fabian Grimm checkt, ob alles Wichtige im Auto liegt. Sein Hund Akira wuselt aufgeregt umher. Sie weiß, wohin es jetzt geht, obwohl sie später im Auto bleiben muss. Grimm gibt ihr ein Leckerli, Akira springt ins Auto, dann schließt er die Transportbox. Es ist ein lauer Mai Abend in der Nähe von Creußen bei Bayreuth. Grimm fährt in sein gepachtetes Revier um zu jagen. Vor ein paar Jahren war das jedoch noch unvorstellbar.

Fabian Grimm verwertet vom erlegten Wild so viel wie möglich. Auf seinem Blog sammelt er seine besten Wildfleisch-Rezepte. 

Fabian Grimm verwertet vom erlegten Wild so viel wie möglich. Auf seinem Blog sammelt er seine besten Wildfleisch-Rezepte. 

Als Jugendlicher entscheidet sich Grimm, auf Fleisch zu verzichten. Massentierhaltung lehnt er entschieden ab, kein Tier sollte seinetwegen leiden müssen. Auf einer Schaffarm in Schottland sieht er ein paar Jahre später, dass Viehzucht auch anders funktionieren kann. Zwar landen die Schafe am Ende auch auf der Schlachtbank, davor führen sie jedoch ein angenehmes Leben, haben viel Platz, frisches Gras zum Essen. Dort kommt ihm zum ersten Mal der Gedanke, ob er selbst ein Tier töten könnte.


Autor Fabian Grimm aus Erlangen stellt sein Buch vor: Vom Vegetarier zum Jäger


Der Verzicht auf Fleisch ist für ihn nicht mehr die einzige oder beste Lösung. "Ich wollte Lebensmittel nicht weiter kontrollieren, welche Inhaltsstoffe sie haben, wie und wo sie produziert werden. Ich wollte zu einem Teil selber entscheiden, woher mein Essen kommt", erzählt der 32-Jährige auf der Fahrt in den Wald. Jagd bedeutet für ihn, sich das Lebensmittel selber zu erarbeiten, sich intensiv mit dem Lebensraum und der Lebensweise der Tiere zu beschäftigen. Sein Lebensraum ist nach Stationen in Berlin und Thüringen wieder Franken. Hier lebt Grimm mit seiner Frau und seinem eineinhalb Jahre alten Sohn.

Die Jagd sieht er als Lösung, regionale Lebensmittel zu beziehen. Gewissensbisse, ein Tier zu töten, hat er keine mehr. Direkt nach dem Jagdschein war das jedoch noch anders. Im Theorieunterricht wird zwar gelernt, wie man ein Tier erschießt, in der Praxis sei man jedoch alleine. "Ähnlich wie beim Autofahren. Irgendwann fährt man auch das erste Mal alleine und fragt sich: Kann ich das eigentlich?", sagt er.

Fabian Grimm packt sein Gewehr aus, lädt es mit den in der Abendsonne goldglänzend Patronen. Hinter einem Feld und einem kleinen Fluss steht der Hochsitz. Er steigt die knarzige Holztreppe hinauf und überblickt das Gebiet mit seinem Fernglas. Unzählige Insekten schwirren umher, krabbeln und kitzeln auf der Haut. Doch schnelle Bewegungen könnten das Wild verscheuchen, wenn sich bewegt wird, dann langsam. Von links nach rechts scannen die Augen das Feld und den Eingang in den Wald. Noch ist es ruhig.

Für den gebürtigen Erlanger hat die Jagd viel mit Ehrlichkeit zu tun. "Wenn ich das Tier lebendig sehe und dann entscheide, ihm das Leben zu nehmen", sagt er, "dann ist das eine ganz bewusste Entscheidung, die ich mit meinem Gewissen vereinen kann". Hat er ein Tier erlegt, setzt er sich erst einmal ein paar Minuten daneben und reflektiert. Dann nimmt er das Wild noch im Wald aus und bringt es in die nahgelegene Kühlkammer einer Försterin. Natürlich gibt es auch Momente, in denen er an der Jagd und seinem Tun zweifelt. "Wenn ein Tier nicht richtig getroffen wurde und noch ein paar Minuten leidet, bevor es verstirbt, da überlegt man sich natürlich, ob das richtig ist", sagt er. Jagd sei immer eine große Verantwortung, so Grimm.

Nach kurzer Zeit im Wald schwindet das Zeitgefühl. Die Vögel singen und zwitschern, ein Specht mimt den Schlagzeuger und hämmert mit seinem Schnabel in die Baumrinde. Nur ab und zu hört man im Hintergrund die Autos, die auf der Landstraße vorbeirauschen und die Idylle kurz stören. Ansonsten hat es schon fast etwas Meditatives, still und fast regungslos auf dem Stuhl zu sitzen.

Natürlich ist nicht jede Jagd ein Erfolg. Grimm schießt auch nicht auf jedes Tier, das ihm vor das Gewehr läuft. "Es muss im richtigen Winkel vor mir stehen, damit es sofort umfällt und sprichwörtlich den Schuss nicht mehr hört", sagt er. Der "perfekte" Schuss ist durch die Schulterblätter, Herz und Lunge werden zerstört, das Tier ist sofort tot. Alle Jäger haben sich natürlich an Regeln zu halten, welches Wild gejagt werden darf. Im Mai dürfen unter anderem Wildschweine und männliche Rehe geschossen werden. Weibliche Rehe dürfen nur erlegt werden, wenn sie keinen Nachwuchs versorgen müssen. Der wird Mitte Mai geboren. "Den Unterschied zwischen den Tieren zu erkennen, ist natürlich nicht immer einfach", sagt Grimm.


Klimaschutz mit Gewehr: "hunting4future" will den Wald retten


Das Fleisch jagt er ausschließlich für den Eigengebrauch. Aus einem Reh mit sieben Kilo Gewicht bekommt er knapp 30 Mahlzeiten. Grimm verwertet alles und experimentiert viel. Über die Jahre hat der gelernte Kommunikationsdesigner den Internet-Blog ,Haut-Gout‘ ins Leben gerufen, auf dem er neben diversen selbstkreierten Wildfleisch-Gerichten den Weg vom Lebewesen zum Lebensmittel beschreibt. Der Name kommt nicht von ungefähr, als Hautgout wird in der Küchensprache das arteigene Aroma des Wildbrets bezeichnet.

Grimms Frau ist Försterin und war ebenfalls lang überzeugte Vegetarierin. Vor sieben Jahren entschied er sich, gemeinsam mit ihr den Jagdschein zu machen. In unzähligen Theoriestunden lernt er alles über den Kosmos Wald und Wild. Lang setzte er sich mit der Frage auseinander, ob er überhaupt ein Tier erschießen könnte. "Als ich mich für den Jagdschein entschieden habe, war für mich klar, dass ich das Fleisch, das ich erlege, auch esse", sagt er.

Seine Entscheidung stößt bei vielen Menschen immer wieder auf Kritik und Unverständnis. Die Jagd sei brutal und moralisch verwerflich, die Vorwürfe sind beinahe endlos. "Es gibt natürlich solche und solche Jäger", sagt Grimm. Von Kollegen, die auf Throphäenjagd gehen und die Jagd rein als Sport und Spaß betreiben, distanziert er sich. In einem Punkt sind sich Jäger aber einig: Für sie ist die Jagd ein aktiver Beitrag zum Naturschutz. Gäbe es keine Jäger, würde das Wild altern, junge Bäume würden gefressen werden. Zu leben bedeutet Leben zu nehmen – auch im Wald, daran glaubt er. Grimm geht offen in Diskussionen, mit beiden Seiten. "Mit Veganern und Vegetariern komme ich viel schneller auf einen grünen Zweig als mit Fleischessern", erzählt er. Diese fühlen sich meist angegriffen, wenn er sie auf die Missstände der konventionellen Fleisch-Massenproduktion hinweist.


Jäger werben: "Es gibt kein besseres Fleisch als Wildbret"


Eine ehrliche Ernährung gibt es allerdings so oder so nicht, sagt er. Das sei bei Fleischliebhabern, Vegetariern und Veganern das gleiche. Viele Nahrungsmittel können schlichtweg nicht im Einklang mit der Umwelt produziert werden. Vor allem die ökologischen Folgen des Sojaanbaus, dessen Erzeugnisse in der vegetarischen und veganen Ernährung viel verwendet wird, steht in der Kritik. Mit dem Anbau der Bohne wird vor allem in Südamerika zahlreiche Wälder, Grasflächen und Savannen zerstört, Lebensräume von Pflanzen und Tieren vernichtet.

Mit der untergehenden Sonne wird es rasch kühler, die Insekten verschwinden. In den knapp drei Stunden ist noch kein Wild aufgetaucht. Nur in der Ferne hört man für einige Minuten ein Weibchen, dessen Laute unzufrieden klingen. Grimm glaubt, es verteidigt seine Kitze. Es ist bereits halb 10 Uhr abends und fast komplett dunkel, als am Ende der Lichtung doch noch ein Reh auftaucht. "Ich sehe nicht, ob es ein Männchen oder Weibchen ist", flüstert Grimm vom Hochsitz. Er beobachtet das Tier mit dem Fernglas mehrere Minuten lang – dann steigt er schließlich die Holzstufen hinab. "Es war ein Weibchen, wir können also zusammenpacken". Und so bleibt das Gewehr an diesem Abend stumm.

Seinen Weg vom Vegetarier zum Jäger hat Fabian Grimm im Buch ,Ich esse, also jage ich‘, erschienen im uhlstein Verlag, beschrieben. Rezepte und Geschichten rund ums Wildfleisch gibt es auf seinem Blog www.haut-gout.de

10 Kommentare