"Explizit Rap" in Nürnberg: Eine Subkultur wird erwachsen

22.2.2020, 18:01 Uhr

© Florian Geyer

Wie beschreibt man in einem Zeitungsartikel den Inhalt von drei Tagen Hip-Hop-Konferenz? Man pickt sich die Menschen und Themen heraus, die am meisten beeindruckt haben.

Da wäre zum Beispiel Haiyti, ihres Zeichens Hamburger Rapperin und aufsteigender Stern am Hip-Hop-Himmel. Sie gehört einer neuen Generation an, das merkt man nicht nur am überwiegend jungen und weiblichen Publikum. Sie hat mit den Testosteron-geladenen Jams der Frühzeit weder musikalisch noch von der Attitüde her irgendetwas zu tun. Haiyti rappt nicht, sie haucht und kreischt, sie transportiert mehr Gefühl als Inhalt, sie wirkt einmal schüchtern und dann wieder anarchisch.

Frauen sorgen für die Highlights

Playback in den Refrains, akustisch unverständliche Sätze in den Strophen, Trap-Beats bis hin zum Techno, Markennamen, Absturz-Lifestyle, Autotune und ständige Wiederholungen als Stilmittel – man muss das alles nicht toll finden, um zu erkennen: Haiyti ist außergewöhnlich. In der Szene kennt man ihren Namen seit einigen Jahren, bald wird er auch darüber hinaus ein Begriff sein. Zerstören kann sie sich eigentlich nur selbst.

Ganz anders, aber mindestens ebenso beeindruckend: Die Münchner Rapperin Ebow sorgte mit ihrem Auftritt am Freitag für ein Glanzlicht. Politisch steht sie für Feminismus und Migrationshintergrund mit Selbstbewusstsein. Musikalisch vereint sie klassische Battlerap-Haltung und technische Brillanz mit viel Soul und gefühlvollen Passagen.

Dabei bleibt sie sympathisch unprofessionell und spricht vielen aus der Seele, wenn sie zum Beispiel über das von manchen Künstlern (etwa Haiyti) aus dem Metal oder Punk übernommene Moshpit vor der Bühne sagt: "Das ist sowas von nicht Hip-Hop-Kultur." Ebenso Augen öffnend die Weigerung, das alte Zugabe-Spiel mitzumachen. "Also, wir spielen jetzt unser letztes Lied – und danach spielen wir noch ein paar Lieder."

Diskriminierung war Thema Nummer eins

Musikalisches Fazit von drei Tagen "Explizit Rap": Bei allem Respekt für Pöbel MC, 3Plusss und Co., für die Highlights haben die Frauen gesorgt.

Überhaupt war bei der Konferenz Sexismus Thema Nummer Eins. Das gipfelte in einer so unterhaltsamen wie kontroversen Podiumsdiskussion. Aber diskriminiert werden nicht nur Frauen. Ben Salomo hat seine in Hip-Hop-Deutschland weithin bekannte Veranstaltung "Rap am Mittwoch" wegen ständiger antisemitischer Anfeindungen an den Nagel gehängt. Im Z-Bau, einem Teil von Nürnbergs ehemaliger SS-Kaserne, berichtet er eindrucksvoll von seinen Erfahrungen.

Es seien vor allem Rapper, die sich stark im Islam verorten, von denen die Diskriminierung ausgeht – meist äußere sich das in den gängigen Verschwörungstheorien. Was Ben Salomo aber besonders schockiert, und was er der Rap-Szene ankreidet, sind nicht die Äußerungen von wenigen, sondern das Schweigen vieler: "Es sind bei weitem nicht alle Leute in der Szene Antisemiten. Aber zu viele sind still."

Über Verantwortung nachdenken

Jede der vielen Veranstaltungen regt zum Nachdenken an. Über Geschlechterrollen, Verantwortung von Künstlern, Medien und Konsumenten, über Sprache oder den Umgang mit Rechtsextremismus. "Wir müssen diskutieren. Wir wollen diskutieren", hatte Johannes Uschalt von der mitveranstaltenden Landeszentrale für politische Bildung am ersten Tag betont. Diesen Anspruch hat der Marathon an Workshops, Runden Tischen, Diskussionen und Konzerten mit insgesamt 29 eigenen Programmpunkten voll eingelöst.

Rap war und ist eine Musikrichtung, bei der die Provokation eine wichtige Rolle spielt. Rap ist aber auch Teil der Hip-Hop-Kultur, die immer klare politische Ideale vertreten hat: Offenheit, Toleranz, Multikulturalität, Solidarität. Nur sind diese Eckpunkte schon lange nicht mehr Konsens in einer fragmentierten Szene. Doch viele Freundinnen und Freunde der deutschen Rapmusik sind offensichtlich nicht gewillt, die gemeinsame Kultur in Beliebigkeit und Verantwortungslosigkeit abdriften zu lassen, das hat "Explizit Rap" gezeigt. Eine Subkultur wird erwachsen.

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