Absage kurz vor dem Challenge

Andreas Niedrig: Vom Junkie zum Ironman - aber wegen Corona nicht in Roth

26.8.2021, 11:01 Uhr
Als Debütant nach dem Schwimmen in Führung. Andreas Niedrig, hier unter anderem von Landrat Herbert Eckstein und seiner Frau angefeuert, lieferte in Roth eine Reihe starker Rennen ab. Der Traum vom Sieg aber erfüllte sich für ihn nicht. Dafür gewann er durch sein bescheidenes Auftreten die Sympathien der Zuschauer. „Ich liebe Roth“, bekennt der Triathlet aus dem Ruhrpott. Auch weil er hier von privaten Herbergseltern stets herzlich aufgenommen wird.  

© Foto: Aus dem Buch „Magische Momente - Die Geschichte des Triathlons in Roth“/Giurdanella. a, NN Als Debütant nach dem Schwimmen in Führung. Andreas Niedrig, hier unter anderem von Landrat Herbert Eckstein und seiner Frau angefeuert, lieferte in Roth eine Reihe starker Rennen ab. Der Traum vom Sieg aber erfüllte sich für ihn nicht. Dafür gewann er durch sein bescheidenes Auftreten die Sympathien der Zuschauer. „Ich liebe Roth“, bekennt der Triathlet aus dem Ruhrpott. Auch weil er hier von privaten Herbergseltern stets herzlich aufgenommen wird.  

Roth bleibt Roth“ und „Fans bleiben ihrem Triathlon treu“ titelten die Zeitungen nach dem ersten Rennen unter dem neuen Label „Quelle Challenge Roth“ im Juli 2002. Detlef Kühnel hatte im Jahr zuvor wegen unannehmbarer Forderungen des damaligen WTC Präsidenten das Prädikat „Ironman“ zurückgegeben. Die Klammer zwischen den 14 Ironman-Europe-Rennen in Roth und dem „Challenge“, den Kühnels Nachfolger Herbert Walchshöfer aus der Taufe gehoben hatte, bildeten mit Lothar Leder, Andreas Niedrig und Thomas Hellriegel drei Top-Athleten der damaligen Zeit.

 Roth-Fan Andreas Niedrig im Gespräch mit dem verstorbenen Gründer des Challenge-Triathlons, Herbert Walchshöfer. Publikumsliebling Niedrig bezeichnete Herbert Walchshöfer als seinen Mentor, dessen offene, ehrliche und warmherzig Art ihm stets sehr geholfen habe.

 Roth-Fan Andreas Niedrig im Gespräch mit dem verstorbenen Gründer des Challenge-Triathlons, Herbert Walchshöfer. Publikumsliebling Niedrig bezeichnete Herbert Walchshöfer als seinen Mentor, dessen offene, ehrliche und warmherzig Art ihm stets sehr geholfen habe. © Salvatore Giurdanella

Beim letzten Rother Ironman eroberten Leder und Niedrig die Plätze eins und zwei, Thomas Hellriegel, der erste deutsche Hawaii-Sieger, landete auf Rang fünf. Dieses Trio stärkte Herbert Walchshöfer bei der Challenge-Premiere am 14. Juli 2002 mit herausragenden Leistungen den Rücken.

Lothar Leder, dem „König von Roth“, gelang der Hattrick, während Andreas Niedrig nach drei dritten Rängen in Folge und einem zweiten Platz im letzten Ironman-Rennen vier Minuten hinter Leder auf Platz vier landete. Den fünften Treppchenplatz hintereinander hatte Thomas Hellriegel Niedrig weggeschnappt. Beide litten unter dem gleichen Trauma. Trotz Top-Leistungen reichte es nie zu Platz eins in Roth.

Jubiläum fällt heuer aus

Am Sonntag, 5. September, steigt nun bereits die 19. Challenge-Auflage. Eigentlich wollte man 2021 das 20-jährige Jubiläum feiern. Doch Corona hatte einen Strich durch diese Rechnung gemacht. Im Vorjahr musste erstmals in der 33-jährigen Geschichte des Rother Langstrecken-Triathlons ein Rennen abgesagt werden. Heuer begegnet der Veranstalter der Pandemie mit einem ausgeklügelten Sicherheits- und Hygienekonzept. Die Zahl der Teilnehmer liegt unter der Hälfte des Vorjahres und die Zuschauer müssen sich dieses Mal mit dem Fernsehen begnügen.

Das Medienaufgebot wird trotz Corona so groß wie nie zuvor in Roth sein. Das Bayerische Fernsehen berichtet sechs Stunden lang live, ARD, ZDF und Sky senden ebenfalls längere Berichte. Per Internet versorgt ein Livestream die internationale Triathlon-Szene mit dem Wettkampf-Verlauf.

Andreas Niedrig, der Roth-Fan mit der besonderen Lebensgeschichte („Vom Junkie zum Ironman“), wäre liebend gerne mit am Start gewesen. Inzwischen ein renommierter Motivator, Moderator und Sprecher, konnte Niedrig zu Zeiten des Lockdowns ausgiebig für seinen zehnten Roth-Start trainieren. Die zweite Corona-Impfung aber verhindert Niedrigs Roth-Jubiläum. Die übermäßige Anreicherung von Antikörpern löste ein gesundheitliches Tief aus. An Training war nicht mehr zu denken.

Roth-Fan Niedrig bedauert Absage

Die zwangsläufige Absage tue ihm unendlich leid, erklärte Niedrig in einem Telefongespräch. In Roth nämlich sieht der einstige Weltklasse-Triathlet aus dem Ruhrpott sein sportliches Wohnzimmer. Und will damit wohl ausdrücken, wie sehr er hier die Gastfreundschaft, Rennatmosphäre, die Begeisterungsfähigkeit der Zuschauer und die Qualität der Organisation schätzt.

Seine bewegende Lebensgeschichte hat Andreas Niedrig in einem Buch zusammengefasst, das 2008 verfilmt wurde.   

Seine bewegende Lebensgeschichte hat Andreas Niedrig in einem Buch zusammengefasst, das 2008 verfilmt wurde.    © Foto: Heyne-Verlag, NN

Im nächsten Jahr will Niedrig den Schlussstrich unter seine Triathlon-Karriere setzen. Mit Roth und Hawaii als abschließende Höhepunkte. In Roth zählte er von Anfang an zu den Publikums-Lieblingen. Die Leute im Landkreis nämlich haben ein Herz für Sportler, die in aller Bescheidenheit super Leistungen vollbringen.

Schon bei seinem Roth-Debüt vor inzwischen 24 (!) Jahren zog Niedrig die Blicke auf sich. Zum einen wegen seines furiosen Einstandes und zum anderen aufgrund seiner Lebensgeschichte. Niedrig nämlich war lange Zeit heroinabhängig und kam, als er den Hochleistungssport für sich entdeckte, gerade aus einer Drogentherapie.

Zweifler überrascht

Ziemlich schnell überzeugt von seinem Leistungsvermögen, nannte Niedrig bei seiner ersten Anmeldung für Roth (1997) die Marke von 8:20 Stunden als Zielzeit. Veranstalter Detlef Kühnel wunderte sich schon ein wenig über diese seiner Meinung nach sehr gewagte Prognose, sortierte den 30-Jährigen aus Recklinghausen aber dann doch in die erste Startgruppe ein. Der Langstrecken-Debütant belehrte Zweifler schnell eines Besseren, als er beim Schwimmen eine neue Streckenrekordzeit aufstellte und dann auf den ersten 40 Radkilometern seine Führung behauptete.

Das Ziel erreichte Niedrig als Fünftplatzierter. Seine Zeit von 8:06:58 Stunden stempelten ihn zum besten Debütanten über die Ironman-Distanz. Unglaublich allerdings, dass Niedrigs Topzeit nicht einmal zu einem Platz auf dem Treppchen reichte. Mit Luc van Lierde, Jürgen Zäck, Lothar Leder und Thomas Hellriegel waren an diesem denkwürdigen Juli-Sonntag nicht weniger als vier Starter unter der magischen Acht-Stunden-Marke geblieben.

Der ehemalige Junkie reifte nach seinem vielbeachteten Debüt schnell zu einem Weltklasse-Triathleten. Nur eines schaffte er nicht. Den sehnlich erhofften Sieg in Roth. Nicht weniger als sechsmal zählte er in Roth zu den Top Five, viermal stand er dabei auf dem Treppchen. Allerdings nie auf der obersten Stufe. Was auch daran lag, dass sich in Roth einerseits die Creme de la Creme der Langstrecken-Triathleten traf und andererseits mit Jürgen Zäck, Thomas Hellriegel und Lothar Leder die drei deutschen Publikumslieblinge dieser Zeit in Roth meist über sich hinauswuchsen.

Weltbestzeit hielt 16 Jahre

Ein Jahr nach Luc van Lierdes fantastischer Weltbestzeit, die 16 Jahre lang das Maß aller Dinge bleiben sollte, feierten die deutschen Asse einen Dreifachsieg. Mit Andreas Niedrig auf dem Treppchen. Schneller als er waren nur Lothar Leder und Jürgen Zäck, der zum dritten Mal in Roth triumphierte. Zwölf Monate später erreichte Niedrig erneut Rang drei. Diesmal in der persönlichen Bestzeit von 8:03:54 Stunden. Vor ihm lagen diesmal Thomas Hellriegel und Jürgen Zäck, die wie schon 1997 unter der Acht-Stunden-Schallmauer geblieben waren.

Im Jahr 2000 fast eine identische Besetzung des Treppchens. Nur dass Lothar Leder in Jürgen Zäcks Rolle geschlüpft war. Niedrig lief zum dritten Mal in Folge als Dritter ins Rother Zielstadion ein. Beim letzten Ironman Europe in Roth (2001) verbesserte sich Andreas Niedrig dann auf Platz zwei. Nur an Lothar Leder war er ein weiteres Mal nicht vorbeigekommen. Wenige Wochen später erreichte Niedrig auf Hawaii mit Rang sieben auch seine beste WM-Platzierung.

Ehrensache für Andreas Niedrig, dass er den Rother Wechsel vom Ironman zum Challenge durch seinen Start unterstützte. Hinter Lothar Leder, dem Neuseeländer Cameron Braun und Thomas Hellriegel erreichte er als Viertplatzierter den Rother Festplatz. Danach zwang ihn eine schwere Verletzung zu einer jahrelangen Wettkampfpause.

Ungebrochene Moral

Als der Australier Chris McCormack in Roth den Ton angab, platzierte sich der inzwischen 40-Jährige als Amateursportler in Roth noch einmal unter den Top 15 und sicherte sich gleichzeitig den DM-Titel in seiner Altersklasse. Dass sich Niedrig zwei Jahre später als Amateur noch einmal einen Profi-Startplatz auf Hawaii sichern konnte, spricht für seine ungebrochene Moral.

2013 schließlich gewann er beim Quelle Challenge in Roth den DM-Titel in der AK 45. Bei seinem neunten Start in Roth im Jahr darauf lief es für den Triathleten aus dem Ruhrpott nicht ganz so gut. Umso mehr freute sich Andreas Niedrig über seinen dritten Platz beim Ironman in Kopenhagen, bei dem er sogar bis zu Marathon-Kilometer 22 das Feld angeführt hatte.

Auf die Frage, was das Faszinierende am Triathlon sei, hatte Niedrig einmal zur Antwort gegeben, dass man durch Sport, speziell dem harten Langstrecken-Triathlon, die Disziplin und den Willen erlernt, etwas zu Ende zu bringen. Sucht sei das Gegenteil: „Man lässt sich hängen und jagt sich eine Spritze in die Vene“. Seine frühere Drogensucht hatte Niedrig im Jahr 2000 in einem Buch verarbeitet. „Vom Junkie zum Ironman“ wurde acht Jahre später unter dem Titel „Lauf um Dein Leben“ mit Max Riemelt in der Hauptrolle verfilmt.

Lebensgeschichte soll wachrütteln

Mit seiner Lebensgeschichte will der gelernte Orthopädiemechaniker vor allem junge Menschen wachrütteln und ihnen zeigen, dass man vieles schaffen kann, wenn man den Willen dazu aufbringt und an sich glaubt. Im gleichen Jahr als der Film in die deutschen Kinos kam, brachte Niedrig sein zweites Buch heraus: „Motivation Kompakt - Das Prinzip Zukunft“.

Als Referent und Motivator arbeitet der zweifache Familienvater seit 2000 an verschiedenen Präventiv- und Motivationsprojekten mit. Bei seinen Auftritten in Schulen, Universitäten, in Firmen und Institutionen dreht sich vieles um motivierende Strategien: „Ziele setzen - den Weg finden“. Niedrig hat seinen Weg gefunden.

Zurzeit laufen intern Gespräche, sein Leben als Serie zu verfilmen. Wenn sich das Film-Projekt realisieren lässt, soll der letzte Auftritt von Niedrig in Roth Teil dieser Serienproduktion werden.

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