Ein Jahr Haaß beim HCE: So schlägt sich der Essener in Erlangen

25.2.2021, 06:00 Uhr
"Es gibt 20 Jobs dieser Art, da überlegst du nicht lange", sagt Michael Haaß über das Angebot des HC Erlangen.

© Sportfoto Zink / Oliver Gold, Sportfoto Zink / OGo "Es gibt 20 Jobs dieser Art, da überlegst du nicht lange", sagt Michael Haaß über das Angebot des HC Erlangen.

Dass Michael Haaß längst in Franken angekommen ist, lässt sich erkennen, wenn man genau hinhört. Fränkisch wird er zwar wohl nie sprechen, wie er selbst sagt, die Mentalität hat er aber offenbar sehr gut aufgesogen. Als seine Mannschaft im vergangenen Herbst einmal ein Auswärtsspiel sehr deutlich gewonnen und von Beginn an dominiert hatte, sagte Haaß hinterher: "Ich wusste relativ früh, dass es keine komplette Katastrophe wird." Das erinnert doch sehr an das typisch fränkische "Schlecht war’s nicht"- Sagen und "Es-war-eigentlich-gut"- Meinen.

Wobei der gebürtige Essener auch schon vor seiner Zeit beim HC Erlangen nicht besonders zu überbordender Euphorie neigte. Als er 2015 seinen Wechsel bekannt gab, betonte Haaß: "Ich bin nicht der Typ, der sagt: Hier bin ich und dann läuft es. Aber natürlich kann ich weiterhelfen." Das tat er dann trotz einiger Verletzungen tatsächlich. 2016 kam der Handballspieler Michael Haaß im Herbst seiner Karriere nach Erlangen und half dabei, den Verein in der Bundesliga zu etablieren. Dass er noch deutlich länger in Franken bleiben würde, dürfte er da allerdings noch nicht geahnt haben.


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HCE-Coach Haaß' Träume von der NBA

Als Kind wollte Haaß eigentlich Basketball spielen. Im Sommerurlaub in Spanien trugen die anderen Jungs auf dem Campingplatz die Trikots von Michael Jordan und Shaquille O’Neal und warfen mit dem Ball auf ein sehr kleines Tor mit Ring. Zurück in Deutschland wollte er ebenfalls dribbeln, werfen, dunken, Haaß träumte von der NBA. Als der Sohn den Wunsch äußerte, erklärte ihm die Mutter aber, dass alle Basketballer zunächst einmal mit Handball begonnen hätten. In Wahrheit war der nächste Basketballverein weit weg, seine Mutter wollte ihn nicht ständig zum Training fahren müssen – "auch wenn sie das heute hartnäckig bestreitet", sagt Haaß und lacht.

Es wurde also ein kleinerer Ball und dafür ein größeres Tor. Bald war Haaß talentiert genug für den Bundesligisten TUSEM Essen, dort kämpfte er sich bis ganz nach oben. Eine in allen Belangen lehrreiche Zeit. Die Hierarchie innerhalb einer Handballmannschaft war damals noch nicht so flach wie heute, und die Alten ließen die Jungen spüren, dass sie sich ihren Platz erst verdienen mussten.


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Der junge Spielmacher mit dem guten Überblick verdiente sich schnell seinen Platz, nach dem finanziellen und sportlichen Absturz seines Heimatvereins musste aber auch er ihn sich in Handball-Deutschland immer wieder neu erkämpfen. 2007 wurde er mit der Nationalmannschaft Weltmeister, weil Haaß in den entscheidenden Spielen aber nicht auf dem Feld stand, scheint er bis heute ein wenig mit dem Titel zu fremdeln.

Im Handball bleiben, vielleicht sogar Trainer werden?

Wichtiger sind ihm die beiden Triumphe im Europapokal 2011 und 2012 mit Göppingen, an denen er maßgeblich beteiligt war. Dass einer, der dieses Spiel so zu lenken versteht, später mal einen guten Trainer abgeben könnte, lag nahe – allerdings lange Zeit nicht für Haaß selbst. Beim noch etwas ambitionierteren SC Magdeburg erlebte er ein eher schwieriges Kapitel, bei der Nationalmannschaft blieben die großen Erfolge nach dem denkbar größten von 2007 aus. Haaß hat auch die Schattenseiten des Betriebs kennengelernt, bereits in seiner Zeit in Göppingen sagte er dem Spiegel: "Vom Umziehen habe ich die Nase voll."

Inzwischen wohnt der 37 Jahre alte zweifache Vater in Uttenreuth vor den Toren Erlangens. Als sich das Ende der aktiven Karriere abzeichnete, fragte Carsten Bissel, der Aufsichtsratschef des HC Erlangen, regelmäßig bei einem Espresso nach, ob sich Haaß, der gerade sein Elektrotechnik-Studium abgeschlossen hatte, das nicht doch vorstellen könnte: im Handball bleiben, vielleicht sogar Trainer werden.


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Haaß konnte es. "Es gibt 20 Jobs dieser Art", sagt er jetzt, da er sich seit einem Jahr Cheftrainer nennen darf, "da überlegst du nicht lange." Auch wenn er sich dann doch noch ein paar Tage Bedenkzeit erbat.

Viel Zeit hatte er nicht, um sich auf den neuen Berufsabschnitt vorzubereiten. Eigentlich sollte Haaß langsam an seine neue Aufgabe herangeführt werden, doch dann stolperte der HCE im Februar 2020 immer tiefer in den Abstiegskampf, und der Kapitän wurde quasi über Nacht und noch auf dem Feld zum Cheftrainer. Erst der vorzeitige Saisonabbruch aufgrund der Corona-Pandemie ermöglichte es ihm dann doch noch, sich einigermaßen in Ruhe vom alten Lebensabschnitt zu verabschieden. Teil der "Barista Community" ist er inzwischen nicht mehr. Kaffee trinken gehen mit den ehemaligen Mitspielern – das würde sich irgendwie komisch anfühlen, jetzt, da er ihr Vorgesetzter ist. Wobei Haaß auch keiner ist, der künstlich Gräben aufreißt oder in Auszeiten cholerisch wird. Die Hierarchien sind flacher als in der Zeit, als er zum Profi wurde. Die Spieler haben bislang nur warme Worte für den Trainer-Neuling.

Haaß: "Ich fühle mich richtig wohl"

"Die Tage sind lang, die Monate kurz" – so fasst Michael Haaß nun sein erstes Jahr als Verantwortlicher für die Profis des HC Erlangen zusammen. Schnell hat er gemerkt, wie sehr sich die Aufgaben unterscheiden. "Als Spieler bekommst du fast alles auf dem Tablett serviert, als Trainer machst du dir die ganze Zeit Gedanken", sagt er, dessen Tage immer gerne ein, zwei Stunden mehr haben könnten. Und der sich trotzdem schon jetzt nichts mehr anderes vorstellen kann: "Ich fühle mich richtig wohl. Die Aufgaben sind so vielfältig, es macht wahnsinnig Spaß."

Vor allem natürlich dann, wenn seine Mannschaft als Sieger vom Feld geht. Haaß hat bereits Überraschungen gegen Melsungen und Berlin gefeiert, aber auch bittere Niederlagen erlebt; wobei vor allem die jüngste schmerzt. "Es ist das passiert, was einem als Trainer beim HC Erlangen eigentlich auf keinen Fall passieren darf", sagt Haaß eine Woche nach dem 26:27 im Derby in Coburg.

Schnell abhaken, selbst wenn es wie in diesem Fall schwer fällt – auch das hat Haaß in den vergangenen zwölf Monaten gelernt, vielmehr: lernen müssen. Auch für den Handballtrainer Michael Haaß gilt nicht: Hier bin ich, und dann läuft es. Aber natürlich trauen sie ihm in Erlangen zu, den Verein mittelfristig in der oberen Tabellenhälfte zu etablieren, ihn vielleicht sogar in den Europapokal zu führen. "Langfristig" habe man ihn gebunden, sagt Geschäftsführer René Selke, über die genauen Absprachen schweigt man sich aus.


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Sicher ist: Michael Haaß wird alles dafür tun, dass er so bald nicht wieder umziehen muss.

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